SZ VOM 26.03.1996 SEITE 11 Feuilleton Zwischenzeit: Zwischenzeit Handke, umnachtet Zwischenzeit Handke, umnachtet Neulich, nachts in Wien: Schon wieder Handke. Hatte abermals den serbischen Reiseaufsatz vorgetragen, und dies, wie er schwer geplagt vermeldete, zum dritten oder vierten Mal innerhalb weniger Wochen. Hinterher natuerlich Diskussion, deswegen gehen die Leute ja zu so etwas hin, und natuerlich hatte der Dichter wieder keine Lust zum Diskutieren. Angst? Gar Arroganz? Aber nein. Der Dichter dichtet, allenfalls liest er das Erdichtete vor - und mehr zu sagen verbietet ihm die poetische Demut. Poetische Demut heisst Schweigen, und Schweigen kommt an sich immer gut an, zumal bei Leuten, denen eh nichts zu sagen einfaellt; so erleben sie ihre eigene Not als Tugend. Nur, woran sollen sie erkennen, dass einer schweigt? Dass er nichts sagt, koennte ja bloss daran liegen, dass ihn keiner zu Worte kommen laesst. In Wien hatte Peter Turrini den Part uebernommen, derart vollstaendig in den Handke hineinzukriechen und von dort wieder aus ihm herauszureden, dass dem leibhaftig, quasi als Double seines eigenen Doubles, danebenhockenden Handke tatsaechlich kaum etwas zu sagen geblieben waere, selbst wenn er gewollt haette. Um so schwerer lastete aber auf ihm die Aufgabe, sein demuetiges Schweigen nicht nur still zu vollziehen, sondern auch deutlich als solches erkennbar zu machen. Technisch denkbar waere folgende Moeglichkeit gewesen: Herr Huemer, der dritte im Bunde, stellt im Anschluss an die Lesung einige Fragen an Herrn Handke, die aber alle Herr Turrini beantwortet, mit immer dem naemlichen Satz: Herr Handke schweigt. Doch leider, Dichter sind ja so entsetzlich unpraktisch, ist Handke darauf nicht gekommen. Stattdessen versicherte er unausgesetzt selbst, dass er schweige, versicherte es im Laufe des Abends zunehmend wortreicher und lauter. Half aber alles nichts; als immer neue Ignoranten vor die Saalmikrophone traten und immer neue Fragen an den Schweigenden stellten, wusste der seine poetische Demut nur mehr dadurch darzustellen, dass er die Fragenden direkt ansprach: Arschloch! Und: Faschistisches Arschloch! Und: Hauen Sie ab, ich rede nicht mit Ihnen! Und: Verschwinden Sie hier, Sie Arschloch! Hei, wie sie da johlten und klatschten, die Studiogaeste. Wunderten wir uns? Nein. Der Hohepriester figurierte als starker Mann; was den einen ihr Haider, ist den anderen ihr Handke - Hauptsache, es wird von oben nach unten getreten, Hauptsache, es sagt einer, wos langgeht. Wobei Handke einwenden wuerde (wenn er nicht immerzu schwiege), er suche ja doch umgekehrt mittels seiner Dichtkunst den Sinn fuer unser Misstrauen zu schaerfen. Die Botschaft, wenn ueberhaupt: Keiner weiss mehr was Genaues. Aber Wissen ist auch eine Voraussetzung fuer Gewissen. Die Welt nicht in Gewissheiten erstarren zu lassen, bleibt ein schoenes Bestreben, poetisch gesehen. Politisch gesehen macht Ungewissheit den Einzelnen handlungs- und kontrollunfaehig, macht ihn am Ende gewissenlos - und ebnet so gerade den Draufgaengern und machtgeilen Psychopathen den Weg. Dass Handke ueber so etwas nicht einmal diskutieren mag, ist uebrigens sein gutes Recht. Nur, es legt ihm ja keiner Handschellen an, es zwingt ihn keiner aufs Podium, von dem herunter er wie ein verzogenes Goer fortwaehrend die Zaehren seines Selbstmitleids triefen laesst und den Geifer seiner Wut versprueht. Es zwingt ihn keiner; darum sind Handkes Aggressionen nichts als eitle Pose, darum ist noch seine Weinerlichkeit verlogen bis dorthinaus. Gerechtigkeit fuer Serbien? Das Irrationalistenpack mag sich keinen besseren Guru wuenschen koennen. Aber die Gerechtigkeit, auch die fuer Serbien, braucht andere Fuersprecher. RAINER STEPHAN SZ-ONLINE: Alle Rechte vorbehalten - Sueddeutscher Verlag GmbH *0 ART-NR: 3487651 EREIGNIS: SZ am Wochenende Spezial: Handkes Serbien-Reise Datenbank SZ Dokumente |
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SZ VOM 27.02.1996 SEITE 13 Feuilleton Ein stoerrischer Missionar Peter Handke in Frankfurt Ein stoerrischer Missionar Peter Handke in Frankfurt Bevor der Reisende und Woerterheld selbst auftritt, ist schon viel geschehen. Vor dem Frankfurter Schauspiel demonstriert die Gesellschaft fuer bedrohte Voelker gegen die Befuerwortung des Massenmords in Bosnien durch Peter Handke. Bosniaken haben Schilder um den Hals mit den Namen der Lager und der Aufforderung, der Schriftsteller moege endlich mit den Opfern sprechen. Nebendran wird fuer Leo Trotzki geworben, den Schlaechter der Weissen im russischen Buergerkrieg. Auf einem Flugblatt wird Genscher als Kriegsverbrecher denunziert und vor das Tribunal in Den Haag gewuenscht. Die Zuhoerer muessen sich vor verschlossenen Tueren zum Volk versammeln, bevor sie eingelassen werden. Der Personenschutz raekelt sich auf der verdunkelten Buehne. Ein Herr von der Partei der Tschetniks bruellt, schon bevor es losgeht, dass ein anderer Herr keinesfalls mitreden duerfe, weil er anderswo zuviel geredet habe. Wer an diesem heiteren Sonntagvormittag der Sehnsucht nach Augenzeugenschaft froent, hat ein laengeres Vorspiel zu ueberstehen. Auf das kontroverse Echo seines Textes in unserer Mediengesellschaft, deren Verdauungsfaehigkeit in den letzten Jahren enorm zugenommen hat, geht Handke erst gar nicht ein. Er beginnt unvermittelt, stockend, als muesse er seine Woerter erst suchen, und wird seine Unbeholfenheit auch in den nachfolgenden anderthalb Stunden kaum los. Die grosse Gebaerde der Irredenta, des Dissidententums gegenueber der Weltpresse ist seinem Vortrag nicht anzumerken. Freies Geleit Dabei gehoert dieser von Polemik und Poesie befeuerte Text vor allem in die Tradition der uebersteigerten oeffentlichen Rede, des unhaltbaren Widerspruchs. Wie weiland Heinrich Boells Ruf nach freiem Geleit fuer Ulrike Meinhof, wie der Historikerstreit oder der Bocksgesang von Botho Strauss oder Enzensbergers Vergleich von Saddam Hussein mit Hitler. Er hat viele schlafende Fragen geweckt, und wir sind in das jugoslawische Geschehen offensichtlich staerker verwickelt als es unsere Ermuedung ueber die taeglichen Greuel, die Mordzuege und die Not der bosnischen Bevoelkerung zugeben mag. Bis zu dieser zweiten Etappe auf seiner Lesetrotztour kann Peter Handke mit den Medien hoechst zufrieden sein: Sie haben seine Attacke auf die Weltmedienverbaende, auf die Rotten der Fernfuchtler, auf die Linsen- und Hoerknoepfe der internationalen Belichter und Berichter in geradezu orgiastischer Ausfuehrlichkeit kommentiert. Dabei reklamiert Handke fuer sich nichts anderes als den seit Karl Kraus paraten Klischeegeifer ueber die Presse, eine Geste der Verwerfung, in der nicht einmal die Vokabel von der Geilheit der Medien fehlt. Eine Welle des Hasses und der grotesken Verzeichnung liegt ueber diesem Text, der die Spur der Versoehnung aufnehmen und den weiten Horizont der Natur erkunden will. Die Anmassung des Schriftstellers koennte nicht besser belohnt sein als durch die internationale Resonanz, die sie fand. Handke selbst verhaelt sich bei seiner Reise nach Serbien wie ein normaler Reporter: Auch fuer ihn zaehlt das, was er sieht, die Ordre des Augenzeugen. Deshalb berichtet er auch nicht ueber zerstoerte Doerfer, ruinierte Staedte, Lager und Massengraeber, weil er eben nicht ueber die Drina nach Bosnien kommt. Er fuehrt seinen Wortkrieg gegen Tendenzkartaetschen und Hassleitartikler in der Weise, die er ihnen vorwirft. Es mutet peinlich an, wie er am Pult mit dem rhetorischen Vorschlaghammer ausholt, aber stockend draufdrischt, Wirklichkeitsrichter und Lazarus in einem. Doch das Anstoessige dieses Textes liegt woanders: In der Setzung einer krassen Antinomie von Journalismus und Poesie. Der literarische Raum ist gegen den politischen ausgespielt, die Sehnsucht nach Tauschhandel gegen die Ware Information , eine innere Teichoskopie gegen die Fakten. Handkes Botschaft wurde in Frankfurt als betoerende Verfuehrung aufgenommen. Die Stimme der Reinigung und Verwandlung, in der gekuerzten Lesefassung viel schwaecher als im kompletten Text, fand stuermische Akklamation. Das Anziehende der Strategie in diesem Reisebericht besteht darin, dass der Serbienbesucher daherkommt wie Malte Laurids Brigge nach der Jahrhundertwende auf den Strassen von Paris. Die Empathie fuer die uebersehenen Dinge, das Bezeichnende des Beilaeufigen der Stolz des Nichtswuerdigen - Rilkes Zeichenschrift von 1910 ist diesen Beobachtungen intarsiert. Und auch die Verstoerung durch die Dinge, die den Beobachter besetzen, ist bemerkbar. Als ein Arsenal von selbstbezueglichen Fragen taucht sie auf. Merkwuerdig, wie gerade sie bisher nicht beachtet oder als salvatorische Klauseln abgetan wurden. Bei der Lesung waren sie als Morsezeichen einer widerspruechlichen Wahrnehmung hoerbar. Doch draengt es Handke darueber hinaus zu einem Werk der Versoehnung. Die Friedensbereitschaft seines Textes betonte er auch diesmal mit Nachdruck. Das schliesst die Selbstversoehnung mit ein: Eine Art Ich-Heilung im Verweilen, Verharren am Grenzfluss Drina, die Moeglichkeit einer zweiten Kindheit. Das Berueckende und Falschmuenzerische zugleich besteht darin, dass poetischer Zugewinn zur politischen Botschaft hin konvertierbar erscheint. Aber mehr als die leere Huelle des Versprechens, dies sei ganz und gar ein Friedenstext jenseits der boesen Fakten, hat Handke auch in Frankfurt nicht geboten. Doch der Friede, den er meint, muesste befragbar sein. Damit hapert es gewaltig. Keine Diskussion war moeglich, die aufgebotenen Partner Juergen Busche und Lothar Baier wurden von Handkes verstockter Stummheit zu Statisten gemacht. Zu entlocken war ihm nur ein einsilbiges zu spaet, als Busche nach dem Modus eines politischen und eines poetischen Textes in einem fragte. Die Berufsgruppenbeschimpfung milderte Handke leicht ab, als er sich zum Vetter der Journalisten erklaerte. Die intellektuelle Kraft einer solchen Einseitigkeit, wie sie Handke aufbietet, kann in seiner Woertlichkeit kaum liegen. Vielmehr erweist sie sich darin, wie sie Diskussionen sprengt und dabei auch zur Selbstaufklaerung des Urhebers beitraegt. Der Wert dieses Textes koennte in der Beweglichkeit liegen, die er mobilisiert - gewiss auch gegen sich selbst. Davon war in Frankfurt nichts zu spueren. Handke bestand auf der starren Schriftfassung, zuckte im uebrigen mit den Schultern. Im Publikum wollten sich diverse Gruppen streiten, ein Plaedoyer des Bosniaken-Fuersprechers Tilmann Zuelch wurde niedergeschrien. Pfeifen, Entruestung, Tumult. In der lautstarken Sprachlosigkeit ging diese Probe auf die Gewaehr des literarischen Reisejournalisten Handke unter. WILFRIED F. SCHOELLER SZ-ONLINE: Alle Rechte vorbehalten - Sueddeutscher Verlag GmbH *0 ART-NR: 3391525 Firma: Schauspiel Frankfurt, Frankfurt/M. EREIGNIS: SZ am Wochenende Spezial: Handkes Serbien-Reise Datenbank SZ Dokumente |
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SZ VOM 08.02.1996 SEITE 13 Feuilleton Peter Handke liest in Slowenien Peter Handke liest in Slowenien Peter Handke wird Ende Maerz nach Oesterreich und Slowenien reisen, um dort seinen umstrittenen Serbien-Text Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien zu lesen. Seit der Erstveroeffentlichung im Januar in der Sueddeutschen Zeitung war Handke das Ziel heftiger Kritik und musste sich den Vorwurf der Einseitigkeit zugunsten der Serben gefallen lassen. Der Autor wird am 18. Maerz im Wiener Akademietheater, am 20. Maerz in Klagenfurt und am 21. Maerz in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana lesen. Der auf slowenische Literatur spezialisierte Wieser Verlag (Klagenfurt), der Handkes Lesereise initiiert hat, will Anfang Maerz die slowenische Uebersetzung des Handke-Buchs herausbringen. dpa SZ-ONLINE: Alle Rechte vorbehalten - Sueddeutscher Verlag GmbH *0 ART-NR: 3330573 EREIGNIS: SZ am Wochenende Spezial: Handkes Serbien-Reise Datenbank SZ Dokumente |
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Handke and the PatriotsMilan Djordjevic’Peter Handke was back in Belgrade. But the only people present when the Serbian translation of his book [Justice for Serbia: a winter journey to the Danube, Sava, Morava and Drina rivers'] was launched at the National Library were scribblers from Politika's infamous 'Echoes and Reactions' page: patriots, congress orators, fighters for 'our cause', guardians of the small-town mindset. Until a few months earlier, hardly any of these esteemed personalities had ever heard of the writer Peter Handke. Let alone read his books or watched his plays. His books and plays would most probably only have scandalised them. Today, however, when it is clear to everybody that Handke 'loves our country', 'loves our people', and is willing to testify 'on our behalf', it is all quite different. How shall I put it, the man is suitable in every way, to the point where he could perfectly well have been received on the President's own sofa. Handke, it seems, is a naive and well-intentioned person. Never having lived, however, for any amount of time in an East European country or a 'people's democracy', he has not the slightest notion of what goes on here. As a writer he is interested only in immediate events, and in this famous travelogue of his writes only about what he has seen - all of which he seems to find vaguely exotic. What he saw, however, was next to nothing. Such naivety and such writing are reminiscent of the 'naivety' and the writings of assorted fellow travellers after visits to the Soviet Union at the time of Stalin's purges, repression and show trials. In just the same way did our innocent Handke end up among people who foster a by-no-means- innocent small-town mindset: people who have participated - and still participate - in mass deception and self-deception. We who live in this country of authentic surrealism, where militarists and bullies preach peace, where naked lies are presented as truths, where robbers preach honesty, and where blind devotion to the leader is considered supreme patriotism - we who in recent years have been subjected to every kind of manipulation and witnessed every kind of crime - cannot be shocked by the paradox of a nonconformist (which Handke undoubtedly is) addressing the flower of our hyper-conformist 'intelligentsia' and receiving self-satisfied applause from that select society. For this was just one more carnival performance and cultural show (in line with the ruling party's slogan: 'With culture everything is more beautiful!') amid the false normality that overlays our poverty, neglect and lack of future. Translated from Republika (Belgrade), 143-44, 1-31 July 1996.
literaturkritik.de Nr. 5 - Mai 1999 Peter Handke bereist den Balkan Peter Handke sucht auf dem Balkan nach der zweiten Kindheit Europas und trifft dabei auf einen anderen Zeitreisenden: den Politiker, Dissidenten und Schriftsteller Milovan Djilas. Waehrend Peter Handke in seinem Einbaum sitzt, steht das Feuilleton am Ufer und gruselt sich. Handke sei ein ideologisches Monster , findet Alain Finkielkraut, Susan Sontag will seine Buecher nicht mehr lesen, und in der F. A. Z. wurde der Ratschlag erteilt, Handke in die Psychiatrie einzuweisen. Natuerlich gibt es auch den einen oder anderen, der dem Dichter einen aufmunternden Satz zuruft: Adolf Muschg zum Beispiel lobt, dass Handke jedenfalls der Verzweiflung immer noch faehig sei, und warum Martin Walser vor einer allzu schnellen Aburteilung des Kollegen gewarnt hat, kann man sich denken. Wohin Handke in seinem Einbaum eigentlich will, scheint allerdings nicht so ganz klar, obwohl er es eigentlich schon vor drei Jahren in seinem Reisebericht Gerechtigkeit fuer Serbien gesagt hat. Wenn auch etwas kryptisch: Was ich hier aufgeschrieben habe, war neben dem und jenem deutschsprachigen Leser genauso dem und jenem in Slowenien, Kroatien, Serbien zugedacht, aus der Erfahrung, dass gerade auf dem Umweg ueber das Festhalten bestimmter Nebensachen [...] jenes gemeinsame Sich-Erinnern, jene zweite, gemeinsame Kindheit wach wird. Die Kindheit Europas: Man kann, um Handkes Satz und vielleicht seine einsame Flussfahrt in diesen Tagen besser zu verstehen, einen anderen Reisebericht aus der Region wiederlesen. Er ist knapp 40 Jahre vor Gerechtigkeit fuer Serbien entstanden, und Handke hat sich anscheinend vom Titel inspirieren lassen: Besudna Zemlja ist in Deutschland als Land ohne Recht erschienen, wird aber besser uebersetzt als Land ohne Gerechtigkeit - der erste Teil der Autobiographie des jugoslawischen Politikers, Dissidenten und Schriftstellers Milovan Djilas. Eine Zeitreise: Das Schicksal Milovan Djilas , der 1911 in Polja geboren wurde und 1995 in Belgrad starb, ist eng mit dem Schicksal des Balkans im 20. Jahrhundert verknuepft: Wenn er ueber seine Kindheit in Montenegro schreibt, dann schreibt er ueber die Kindheit Jugoslawiens. Sein Montenegro ist mittelalterlich oder mindestens fruehmodern: Eine Stammesgesellschaft, auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, deren Fuehrer zuweilen einfach mal beschliessen, keine Steuern mehr zu zahlen. Gleichzeitig erzaehlt Djilas aber vom Wandel. Die neue Haeuptlingsgeneration , so erinnert er sich zum Beispiel, hatte in den Balkankriegen von 1912 bis 1914 fuer und gegen nationalstaatliche Gebietsaufteilungen gekaempft und stellte nun dem montenegrinischen Koenig Nikola ergebene Beamte und Offiziere . Aus Haiducken sind Buerger geworden - und ihre Soehne werden nur ein paar Jahre spaeter Kommunisten sein, ergaenzt Djilas. Anfang der 20er Jahre - inzwischen gibt es ein Koenigreich Jugoslawien - kommt der kleine Milovan aus dem Dorf in die etwas groessere Stadt Kolaëin. Dort hatte die Moderne schon etwas laenger Einzug gehalten, politisch und oekonomisch: Die ehemalige osmanische Siedlung war 1878 auf dem Berliner Kongress im Zuge der Ordnung des Balkans Montenegro zugeschlagen worden, die Stadt entwickelte sich daraufhin zu einem Handelszentrum. Djilas beschreibt die Markttage aus der Perspektive des staunenden Bergbauernbuben. Und hier, zwischen den Staenden, den Kleinbauern, den Kaufleuten, trifft er ploetzlich auf einen staunenden Grossstaedter: auf Peter Handke. Zumindest kann man sich das vorstellen, wenn man mit Handke in der Winterlichen Reise durch eine kleine jugoslawischen Stadt wandert, die zwar nicht Kolaëin heisst, aber auch einen schoenen Markt hat. Der Autor sieht sich alles an und findet es so gerade gar nicht modern. Er freut sich an den nur auf den ersten Blick einfoermigen oder eintoenigen jugoslawischen Broten dort auf dem Markt und jauchzt: Eine Lebendigkeit, etwas Heiteres, Leichtes, wie Beschwingtes an dem anderswo gar zu haeufig pompoes und gravitaetisch gewordenen, auch misstrauischen, halb veraechtlichen Vorgang von Kaufen und Verkaufen [...] ein Tanz des Handumdrehens. Europa riecht gut in diesen Kindheitstagen, tanzt und ist jung und lustig, findet der Zeitreisende Peter Handke. Der Zeitreisende Milovan Djilas sieht in diesem Moment hingegen in Montenegro, Jugoslawien, Europa immer noch das Land ohne Gerechtigkeit und beschreibt einen Totentanz. Also winken die beiden sich kurz zu auf einem Marktplatz, der eine auf dem Weg in die Moderne, der andere auf der Flucht vor ihr. Dann trennen sich ihre Wege wieder: Die zweite, gemeinsame Kindheit stellt sich auf dem Marktplatz von Kolaëin als Irrtum heraus, Handke, der Belgrad hinter sich gelassen hatte, reist dennoch von dort immer tiefer ins Land und in die Vergangenheit, bis er im Winter 1995 in einer Schneewehe an der Grenze zu Bosnien steckenbleibt. Sein trotziges Zurueck in den vorzivilisatorischen Zustand und in die Urwelt setzt er heute weiter fort: Handke ist aus der Kirche ausgetreten und hat sich auch von der verwalteten Kultur losgesagt, indem er den Buechnerpreis zurueckgeben hat. Und vielleicht traeumt er, wenn er dieser Tage durch Montenegro in den Kosovo reist, vom Bergwald , der in der Finsternis rauscht, und [...] in der Felswand klagt der Totenvogel. Traumsaetze, die Handke aufschreiben koennte, wenn Djilas sie nicht schon vor ihm notiert hat. Fuer letzteren allerdings gehoerten sie in einen Alptraum. Djilas wollte sich von der Urwelt befreien. 1929 verliess er die kleine Stadt mit dem belebten Markt in Richtung Belgrad, dem neuen Jugoslawien entgegen. Er trat 1932 in die Kommunistische Partei ein und uebernahm spaeter, als Cheftheoretiker neben Tito, die Funktion des Erziehungsberechtigten fuer ein Land, das niemals so recht erwachsen werden wollte. Ginge es nach Peter Handke, wird es das auch niemals werden. Der Dichter, der von einer zweiten Kindheit traeumt, entdeckt auf seiner Serbienreise selbst das Autofahren als kindlichen Abenteuerroman und ersteht aufgeregt an der Strasse Benzin im Handverkauf: Eine Kostbarkeit, ein Bodenschatz - und wieder hatte ich gar nichts einzuwenden gegen meine Wunschvorstellung, solch eine Art Tanken moege lang noch so weitergehandhabt werden. Wenigstens dieser Traum Handkes wird gerade wahr. Dank eines unverhofften Buendnispartners: In den ersten drei Kriegswochen sind auf dem Gebiet Jugoslawiens nach letzter Zaehlung neben anderen industriellen Anlagen zwei OElraffinerien und zehn Treibstoffdepots von alliierten Streitkraeften zerstoert worden, und gerade wird darueber nachgedacht, mit einer Seeblockade die Treibstoffzufuhr des Landes ganz und gar abzuschneiden. Die zweite Kindheit Europas ist ein Irrtum, aber einer, den man korrigieren kann. Peter Handke und die Nato arbeiten daran. Hand in Hand, Abenteurer alle beide. Milovan Djilas: Land ohne Recht. Aus dem Serbischen uebersetzt von Michael Doerner. Kiepenheuer & Witsch, Koeln 1958. Peter Handke: Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. Peter Handke: Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. Peter Handke: Die Fahrt im Einbaum oder Das Stueck zum Film vom Krieg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. © beim Autor / literaturkritik.de
Der Spiegel Nr. 12 vom 18.03.1996 Seite 219 - 220
Sandalen im Fluss Ein offener Brief an Peter Handke von seinem slowenischen Uebersetzer Borut Trekman Sehr geehrter Peter Handke, wenn Sie sich schon entschlossen haben, der Welt ein gerechtes Bild von den Serben zu uebermitteln, die von allen angeblich als Aggressoren gebrandmarkt worden sind, statt fuer ihre Heimatliebe und ihr Heldentum geruehmt zu werden, fuehrte Sie Ihre Reise an den falschen Ort. Dort an der Drina, wo Sie haltmachten und die Haende in das Wasser steckten, waehrend an Ihnen vorbei keine Leichen trieben, sondern nur eine Kindersandale duempelte (hat diese Pose auch eine versteckte symbolische Bedeutung?), dort gab es gewiss keinen Krieg, seit mehr als 50 Jahren nicht. Auch in Belgrad und Novi Sad, in Studenica oder im Gebirge Fruska gora gab es ihn nicht. An der anderen Flussseite aber wuetete er, schon sehr lang, dort geschahen die Greueltaten. Sie haetten nur die magische Grenzlinie des Staates, der mit niemandem Krieg fuehrt, wie sein grosser Fuehrer behauptet, ueberschreiten brauchen und sich auf das Gebiet jenes Staates begeben muessen, wo der Krieg herrschte. Die Moeglichkeit dazu bot sich Ihnen foermlich an, denn Sie hatten ja die Bruecke bis zum Grenzposten an der bosnisch-serbischen Seite schon ueberquert. Dieser haette Sie sicherlich weiter in die Republika Srpska eingelassen, wenn Sie darauf bestanden haetten, und Sie haetten dann weiter nach Sarajevo wandern koennen. Oder zumindest nach Pale, wo es, wenn schon kein Krieg tobte, wenigstens an Militaer nicht fehlte. Doch es ist offensichtlich viel einfacher, am ungefaehrlichen Flussufer zu bleiben und von dort aus zu fragen, ob die Ruinen drueben womoeglich nur unfertige Neubauten seien oder wo das Gebiet der moslemischen Enklave von Srebrenica beginne - die es zu jener Zeit schon laengst nicht mehr gegeben hatte. Geblieben sind nur Massengraeber - so dass Ihnen nach Ihrer Rueckkehr nach Paris sogar gesagt wurde: Du willst doch nicht auch noch das Massaker von Srebrenica in Frage stellen? Es ist einfacher, an Ivo Andric zu zweifeln, dem wohl feinfuehligsten Kenner des Balkanbeisls (die Bezeichnung stammt von seinem Zeit- und Literaturgenossen Miroslav Krleza), der sich sein ganzes Leben die schicksalhafte Frage stellte, was das Grundmerkmal dieser unglueckseligen Balkanhalbinsel und der Bewohner seiner Laender sei - bis er zu der kargen, doch weitsichtigen Erkenntnis kam: Der Balkan ist ein Land des Hasses, hier hasst jeder jeden, und je frueher wir es begreifen, desto besser, wie er es kurz vor seinem Tode einem meiner Freunde anvertraut hatte. Es ist einfacher, sogar daran zu zweifeln, ob nicht das so oft zitierte Gross-Serbien nur ein Phantasma und nicht ein wirklicher Kriegsplan gewesen sei. Und sich, als Zweifel doch nicht mehr ausreichten, fuer Ihr Argument eine elende Luege der bosnischen Serben auszuleihen, wonach die beiden Granatenanschlaege auf den Marktplatz von Sarajevo die Moslems selbst veruebt haetten, um die Serben in den Augen der Weltoeffentlichkeit anzuschwaerzen, dann aber diese Luege, in das Stanniol der Literatur verpackt, als Wahrheit zu lancieren, falls sie nur jemand glauben wollte. Fuer einen Schriftsteller Ihres Ansehens und Ihres Formats eine nicht gerade ruhmreiche Tat. Eben deshalb wird Ihre Einstellung zu den Serben - aus Restjugoslawien, aber auch aus der Republika Srpska als ein sich offensichtlich europaweit geaechtet wissendes, ganzes grosses Volk, welches das als unsinnig ungerecht erlebt und jetzt der Welt zeigen will, auch wenn diese so gar nichts davon wahrnehmen will, dass es, nicht nur auf den Strassen, sondern ebenso abseits, ziemlich anders ist - nicht viel zur Wahrheitssuche und Wahrheitsfindung beitragen. Zumindest so wie Ihre Verdrehung der Fakten ueber den Krieg hat mich auch alles, was Sie so nebenbei wieder ueber Slowenien verstreuten, wirklich verwundert. Nicht nur Ihre Berichte ueber die Beseitigung von Fotografien Titos und verschiedener Sehenswuerdigkeiten des ehemaligen Jugoslawien aus slowenischen Hotels und Bahnhoefen, die angeblich durch zur (europawuerdigen) Saeuberlichkeit in der Landschaft auffordernde Plakate ersetzt worden seien; nicht nur Ihre Verurteilung der vermeintlichen slowenischen Verbeugung vor ehemaligen germanisierenden Deutschtuemlern im Norden; nicht nur Ihr Unmut darueber, dass Sie im Radio nur Volksmusik oder Mozart und Haydn zu hoeren bekamen und nicht die orientalische, fast schon arabische Musik, wie sie hier einst mit tausend anderen Weisen mitgespielt hatte und inzwischen sozusagen aus dem Luftraum verbannt war (eine solche Musik hatten Sie, sehr geehrter Herr Handke, auch vor der Unabhaengigkeit Sloweniens in unserem Rundfunk so gut wie gar nicht gehoert). Verwunderlich ist auch Ihre Beschreibung des demokratischen und direkt gewaehlten Praesidenten des slowenischen Staates, die nicht nur eine geschmacklose Beleidigung seiner Person, sondern auch jenes Staats ist, an dessen Spitze er steht. Vor allem aber, sehr geehrter Herr Handke, will mir beim Lesen Ihres neuesten Textes folgendes nicht in den Sinn. Alle Jahre Ihrer schriftstellerischen Taetigkeit versuchten Sie, Ihre Prosa- und Theaterstuecke konsequent aus einer konkreten Politik herauszuhalten. Was nicht heisst, dass die Politik Sie unbeeindruckt liess, aber der politisch engagierten Literatur versuchten Sie im weiten Bogen auszuweichen. Und wenn ich Ihr Werk richtig auffasse, haben Sie dieser radikalen Entscheidung alles unterworfen, was das Schreiben ausmacht: Ihre Themen, Wortwahl, Form, Stil, Erzaehlweise. Bewusst versetzten Sie sich in einen distanzierten Beschreiber Ihrer selbst, gefangen von wesentlichen existentiellen Irrungen unserer Zeit, vor allem aber besessen vom eigenen Dasein als Welt-Empfinden, vom Dasein als Schaffen, Grauen und Gnade. Jetzt aber ploetzlich eine so riskante Wende, eine halsbrecherische Pirouette, die im Nu den jahrzehntelangen Aufbau dieser Ihrer Position vernichten koennte, all die Jahrzehnte des unerbittlichen Planens, doch zugleich auch des wirkungsvollen und ueberaus erfolgreichen Umsetzens dieser Planung. Warum und wozu? Um der ganzen Welt zu trotzen und um jeden Preis durchzusetzen, dass Sie im Recht sind? Auch um den Preis Ihrer Literatur? Mit Ihrer Aufforderung zur Gerechtigkeit fuer Serbien stellten Sie bewusst die Literatur in den Hintergrund und riefen sich zum Moralapostel auf dem glatten Parkett der Tagespolitik aus. Sie haben dieses Gebiet bisher kaum betreten, geschweige denn ein besonderes Talent hierfuer gezeigt. Ich befuerchte, dass Sie schon ausgerutscht sind. Etwas hat sich bis jetzt herauskristallisiert: dass es auf dem balkanischen Kriegsschauplatz nicht primaer um die Auseinandersetzungen einzelner Voelker gegangen ist und auch jetzt nicht geht, sondern um den Kampf zwischen zwei ideologischen Optionen - dem starren Kommunismus (auf Deutsch auch Panzerkommunismus genannt), der mit seiner Indoktriniertheit nicht nur fuer Serbien typisch ist, sondern offensichtlich im ueberwiegenden Teil der orthodoxen Welt (Montenegro, Rumaenien, Russland) verwurzelt ist, und der europaeischen Tradition des Geistes, der Demokratie, der Menschenrechte, wofuer sich beim Zusammenbruch des Kommunismus der ueberwiegende Teil der westlichen Balkanhaelfte bewusst entschieden hat. Solange Sie, sehr geehrter Peter Handke, das nicht begreifen, bleibt Ihr Einsatz fuer die Gerechtigkeit ein fruchtloser Versuch, mit Ihrem ausgepraegten Ego (wozu Sie volles Recht haben, solange Sie Kuenstler sind, aber auf keinen Fall, wenn Sie sich in einen politischen Propheten oder sogar politischen Agitator verwandeln) die brutale Wahrheit ueber den Krieg auf dem Balkan zu verschleiern, die allen Ihren unnuetzen Sophismen zum Trotz die einzige moegliche Wahrheit in den Augen der demokratisch gesinnten Menschheit bleibt. Mit freundlichen Gruessen Ihr Uebersetzer Borut Trekman Bildunterschriften: S.219 Massaker-Opfer in Sarajevo*: Land des Hasses E.ORTIZ / SYGMA S.220 Markt in Belgrad*: Dasein als Weltempfinden und Gnade SIPA Uebersetzer Trekman F.HORVAT / SABA Fussnoten: * Am 5.Februar 1994 auf dem Marktplatz. * Im Juli 1995. Autor: Borut Trekman Namen: Trekman, Borut; Handke, Peter; Andric, Ivo Themen: Jugoslawien; Buergerkriege; Schriftsteller Datenbank SPIEGEL
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Der Spiegel Nr. 19 vom 08.05.2000 Seite 259 AUTOREN Baenkelsaenger des Balkan Auf Peter Handke ist Verlass: Auch in seinem neuesten Werk ruehmt er das heilige Serbenvolk und schmaeht die Giftschlammschmeisser der Westmedien. Es ist eine Pilgerreise ins geschundene Land, auf das Bomben der alliierten Luftstreitkraefte fallen. Ein paar Tage schon ist er unterwegs. Entrueckt und voller Weh schaut er auf die weitgestreckten Felder, an deren Rand die maerchenkraeftig verschachtelten, obstbaum- und gartenumsaeumten pannonischen Einzelgehoefte liegen, da erblickt der Dichter, konjunktivisch verzaubert und wie vom Geistesblitz getroffen, sein Allerheiligstes: Dieses ganze Land da, vor, hinter uns und um uns herum, sei, zwischen zwei Sirenentoenen, hingestreckt unter dem unveraendert blauenden, unveraendert leerbleibenden Himmel, hingestreckt zum Gebet ... zu einem einzigen stummen, umso mehr aber verkoerperten Gebet geworden. Nein, nicht von Deutschland im Fruehjahr 1945 ist hier die Rede, kein brauner Poet hat hier versucht, Politik in Natur, Taeterschaft in Landschaft umzuluegen - es ist Peter Handke, der in der Naehe von Paris lebende oesterreichische Schriftsteller, der Serbien und seine heilige Erde besingt wie ein voelkischer Baenkelsaenger. Unter Traenen fragend - schon der Titel seines neuesten Werks annonciert eine melodramatische Soap, einen bigotten Schleier schamloser Anmassung, wie die Sueddeutsche Zeitung formulierte*. Die Nachtraeglichen Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, Maerz und April 1999 gehorchen nicht zuletzt dem Gesetz der Serie: Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien, der Kommentar zum Bosnienkrieg, erschien 1996 - samt einem Sommerlichen Nachtrag zu einer winterlichen Reise. Der bosnische Schriftsteller Dzevad Karahasan nannte Handkes Text damals einen der schaendlichsten Beitraege von ethischem Nihilismus in unserer Zeit. Das aktuelle Buch markiert einen neuerlichen Tiefpunkt im Schaffen des Autors. Kein Zweifel: Der Mann weiss schon alles. Keine Fragen mehr. Seine Fragen sind Pseudofragen, rhetorische Fragen, besser: verbogene Ausrufezeichen. Transsubstantiation des Balkans in Poesie nannte dies Iris Radisch in der Zeit - Jugoslavija als Ur- und Traumbild der Menschheit, ein Gral, der von den boesen Kraeften der Dekadenz bedroht, umzingelt, eingekesselt, schliesslich vernichtet werden soll. Die Poesie aber geriert sich als politischer Akt, als Ersatzhandlung. So wird aus Handkes Prosa Agitprop - erztrueb reine Propaganda. Versteht sich: Der Name Milosevic faellt im Ernst kein einziges Mal. Kein Wort auch ueber die vier von Milosevic angezettelten Kriege (fuer das Massaker von Srebrenica, bei dem mindestens 7000 bosnische Muslime starben, hat Handke nur billigen Zynismus uebrig), und ueber den Krieg im Kosovo, der doch Anlass der Reisen war, erfaehrt man nur so viel: dass es da einen Massenandrang der Kosovobewohner ... an die Grenzen gebe, eine Art Menschenauflauf wie beim Sommerschlussverkauf. Offenkundig grundlos und wie aus heiterem Himmel, als kaeme sie tatsaechlich vom Mars, attackiert eine riesige Phalanx, recht eigentlich der Rest der Welt, das tapfere Serbenvolk: Die westlichen Kriegsgrossmaechte, darunter das Totschlaegerland Frankreich, angefuehrt von der Nato und ihrem Killersprecher, aber auch die Kriegsbraut des SPIEGEL in Belgrad und all die anderen Star-Journalisten von El Pais bis Le Monde, Westkriegsblitzmaedel, Schlammfedern, Uebelwoller und Giftschlammschmeisser mit Fletsch-Gebiss, die ihre Schlagstockmeinung skrupellos unter die Leute bringen und, echt perfide, ihre Propaganda im Gewand der Superinformation betreiben, also irgendwie dialektisch. Das auch noch. So viel ist allerdings wahr: Peter Handke, der 1966 mit seiner Publikumsbeschimpfung beruehmt wurde, betreibt seine Propaganda mit einer derart ueberschaubaren, ja steinwinzigen Menge an Information (die auch noch traumsicher frisiert ist), dass ihm allein dafuer der Titel Groesster Meinungshaber aller Zeiten - Groemaz - gebuehrt. Wo aber bleibt das Horchen auf die unendlich langsamen geologischen Verschiebungen, die der politischen Hast auf der Erdoberflaeche keine Ruhe mehr geben koennen, wie der frisch gebackene Handke-Apologet Thomas Wirtz in der FAZ kongenial ondulierte, jener Zeitung, die Handke im also gepriesenen Horch-Text ganz gelassen und anspielungssatt als Frankfurter Beobachter verunglimpft - ausgerechnet er, der voelkische Beobachter von Serbisch-Balkanesien? Wo also bleibt das literarisch Widerstaendige, der Sound des grossen Unzeitgemaessen, die leitbildhafte Poetik vom erztrueben Eigenbauwein, den andersgelben serbischen Nudelnestern (Achtung: Kult!) und dem bestuerzenden Froschquaken an der Grenze zu Kroatien, das sich als kuenstlerischer Gegenentwurf zur westlichen Zivilisation, als einsamer Protest des Sehenden gegen das ganze verblendete Falsche verstehen liesse? Wo waere der Grund, dies als ein Stueck wirklicher Literatur zu betrachten? Die Wahrheit ist konkret: Luegen essen Sprache auf. Noch die gepudertsten Satzkaskaden schwitzen ihre innere Unwahrheit heraus. Handkes wahnhaftes Motiv der Weltverschwoerung gegen Serbien zerstoert gerade jene Genauigkeit und Wahrhaftigkeit der Sprache, auf die seine ganze kleine grosse Gegenwelt doch gebaut sein soll. Die Beobachtung des Details, das reine, sinnliche Schauen, die Lust an der Sprache, das alles ist immer schon von der politischen Absicht vergiftet, so diffus, ja ungreifbar ihre Gruende sind. Wenn der Reisende ein paar Serben in einem verlassenen Tankstellen-Hinterzimmer auftreibt, zusammengeschart, wartend ... einfach da seiend, eine Art Praesenzdienst leistend, dann kommt unweigerlich ideologische Landschaftsmalerei heraus, vorgestanzte Plastik-Prosa ueber die einsamen Helden der Einkehr, die um jeden Quadratzentimeter Heimaterde warten: Jaegerzaun-Literatur. Ungebremst jedoch spricht der Hass, ja die Verachtung gegen die Demokratien des Westens aus Handkes Suada, der stammelnd trostlose Diskurs der Propaganda: Ja, Propaganda. Solche Propaganda: ja - fuer einmal ja! Und selbst die dazu wiederholte Propaganda-Formel von der ,faschistischen Aggression der NATO: fuer einmal ja zu solcher Formel. Propaganda-Wahrheiten also statt Propaganda-Luegen? Nein. Solche Art Propaganda, in solcher Periode, in solcher Lage des Landes (Jugoslavija), als eine Bild-, Wort- und Tonfolge jenseits von Luegen und Wahrheiten (die in diesem Fall wieder nichts als Schauseiten von Luegen sein koennten) - eben als etwas (fast) rein Natur- und Notgewachsenes, das gar nicht erst in eine besondere Form, Propaganda-Form, gebracht, sondern einfach bloss landesweit ausgestrahlt zu werden braucht. Eine Weise der Propaganda ohne Tatsachen-Vortaeuschung: die weggelassenen Tatsachen oder Wahrheiten denkt sich ohnehin jeder Zuschauer und Zuhoerer, ein jeder nach seiner Art, hinzu. So denkt sich jeder seins: Schon die Syntax zeigt das Verquaelte dieser verzweifelten Legitimationstirade, die ein wenig den semantischen Verrenkungen spaetstalinistischer Intellektueller aehnelt, aber immerhin gibt sie Handkes Wahrheitsbegriff preis. Als er in westlichen Zeitungen liest, dass nach den Antikriegskundgebungen junger Serben in Belgrad haufenweise leere Coca-Cola-Dosen auf dem Platz liegen bleiben, protestiert er jenseits aller Anschauung, aber im heiligen Namen der Handkeschen Epistemologie: Nein, das ist nicht wahr. Das glaube ich nicht. Die Bomben haben immerhin bewirkt, dass wenigstens eine Jugend auf der Welt geheilt ist von CC und McD. Der letzte Satz seines Buchs lautet: Das Zeitalter der Informationen ist vorbei. Das ist es: Eine programmatische Selbstbezichtigung, die intellektuelle, kuenstlerische und moralische Bankrotterklaerung. Der Dichter - hingestreckt zum Gebet. REINHARD MOHR Bildunterschriften: S.259 Autor Handke in Jugoslawien (1999) T. DEICHMANN Kosovo-Fluechtlinge (1999): Propaganda im Gewand der Superinformation AP Autor: Mohr, Reinhard Namen: Handke, Peter Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 00012000000190025900 |
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Der Spiegel Nr. 4 vom 24.01.2000 Seite 177 THEATER Einbaum umgelenkt Zwischen die Muehlsteine des Regimes und der Opposition in Serbien ist Schriftsteller und Serbenfreund Peter Handke geraten. Noch waehrend der Nato-Bombardierung hatten im Jugoslawischen Nationaltheater die Proben zu seinem juengsten Drama Die Fahrt im Einbaum begonnen. Auf die Urauffuehrung am Wiener Burgtheater im Juni sollte in Belgrad die erste Premiere ausserhalb des deutschen Sprachgebiets folgen. Aber die Proben wurden schnell eingestellt. Der neue Verwaltungsdirektor des Theaters, Kulturminister und Milosevic-Vertrauter Zeljko Simic, gab sich desinteressiert. Regisseur Dejan Mijac musste schriftlich erklaeren, er sei nicht in der Lage, das Drama fristgemaess fertig zu stellen. Die wahren Gruende fuer den Stopp sind vermutlich Mijacs Sympathie fuer die serbische Opposition und seine freie Deutung des Kriegsepos: Die Helden des Dramas, serbische Dorfbewohner an der bosnischen Grenze, sollten schliesslich Zweifel, ja Reue angesichts ihrer Kriegstaten zeigen. Handke, beteuert Mijac, habe das mit den Worten akzeptiert: Ihre Regie ist Business. Mein Proserbentum ebenfalls. Wichtig ist das Theaterstueck. Jetzt versprach Minister Simic den serbischen Fans: Handke wird gespielt - nur in neuer Inszenierung und mit neuen Schauspielern. Der Regisseur scheint bereits gefunden: Ljubisa Ristic, Vorsitzender der Jugoslawischen Linken und Intimus von Milosevic-Gattin Mirjana. Der unter Tito als Dissident gebrandmarkte Ristic hat 1999 innerhalb eines Monats fuenf Handke-Dramen regimetreu auf die Buehne gebracht und laesst sie seither an seinem Belgrader Theater spielen. Bildunterschriften: S.177 Wiener Einbaum-Auffuehrung M.RITTERSHAUS Namen: Handke, Peter Simic, Zeljko Mijac, Dejan Ristic, Ljubisa Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 00012000000040017703 |
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Der Spiegel Nr. 24 vom 14.06.1999 Seite 224 - 226 THEATER Besinnungslose Kapitulation In Demut vor dem Dichter praesentierte Claus Peymann in Wien Peter Handkes umstrittenes Stueck zum Krieg auf dem Balkan und setzte Die Fahrt im Einbaum klaeglich auf Grund. Ist es nicht herrlich, wenn drunten in den Sinnierstuben die Kulturdenker einander mit Pappknueppeln auf die Haeupter schlagen? Lange schon gab es kein aehnliches Gezeter mehr um ein hoch droben auf der Theaterbuehne angesetztes Spektakel wie in den vergangenen Wochen um Peter Handkes Die Fahrt im Einbaum oder Das Stueck zum Film vom Krieg . Handelt es sich um ein proserbisches Machwerk? Gar um, wie die Grossanalytiker von Zeit bis Frankfurter Rundschau nach Lektuere des Dramentextes warnten, gefaehrlichen Unfug, die Aufhebung der Differenz zwischen Taetern und Opfern und eine ueble Manipulation der Wirklichkeit? Und waehrend die Leser der Feuilletons noch gruebelten, ob hier ein Dichter tatsaechlich luegt, dass sich der Balkan biegt, steuerte der deutsche Staatsminister fuer Kultur Michael Naumann den verwirrendsten Debattenbeitrag bei: Ein deutschsprachiges Theater, so sprach der Mann, das sich mit zentralen gesellschaftlichen Fragen beschaeftigt, gibt es nicht. Im Wiener Burgtheater traten am vergangenen Mittwoch zwei Dutzend Schauspieler und jede Menge prominente Premierenbesucher an, um just das Gegenteil zu beweisen. So hektisch und laermend war der Trubel im und um das Haus vor Auffuehrungsbeginn, so prekaer und von gesellschaftlicher Sprengkraft schien vielen der Stoff, den der scheidende Prinzipal Claus Peymann, 62, da auf die Buehne stellen wollte, dass sich ein paar Theaterveteranen an die Stimmung der Heldenplatz-Premiere des Jahres 1988 erinnert fuehlten: Damals versetzte ein Stueck des Dichters Thomas Bernhard viele OEsterreicher in Wut und Hysterie, als sei ein Staatsstreich zu befuerchten. Als die Wiener Einbaum-Fahrer dann endlich ab- und loslegen durften, erstarb die Nervositaet sogleich. Die Schauspielkuenstler Martin Schwab und Robert Hunger-Buehler wackelten gemuetlich als Pat- und-Patachon-Paar auf die Buehne, welche sehr provisorisch zum Fruehstueckssaal eines balkanischen Hotels hergerichtet war: ein paar Holztische rechts, ein Tanzpodest hinten und eine mit Pailletten verzierte Saeule zur Linken. In diesem Bruchbuden-Ambiente, nach Bastelanleitung des Buehnenbildners Karl-Ernst Herrmann, stellen sich die beiden Helden erst einmal brav dem Publikum vor: Beide seien sie international geachtete Kino-Grossmeister, der eine aus Spanien, der andere aus den USA, und gemeinsam wollten sie einen Film drehen ueber den letzten, vor einem Jahrzehnt zu Ende gegangenen Krieg im Lande Jugoslawien. Um sich dem Filmstoff zu naehern, gedenken die zwei Regie-Haudegen nun eine, wie es einmal heisst, Rollenparade abzunehmen, die ein Ansager fuer sie arrangiert hat. Schon den Auftakt des Stuecks arrangiert der Regisseur Peymann nach Art einer Laienauffuehrung in der Altentagesstaette Wien-Ottakring, so lachhaft laesst er den Spanier Machado alias Luis Buñuel (Hunger-Buehler) mit den Armen reden und den Ami OHara alias John Ford (Schwab) seine Worte wie Kautabakbrei hervorspucken. Den Ansager spielt Ernst Stoetzner dazu als Gecken-Karikatur mit Brille im Flatterhaar und ausgestelltem rosa Hemdkragen. Erst als einige skurril gewandete Typen aufs Podest treten und Wirres von Entminung und Waldhonig berichten, von einem Kriegsverbrecherprozess in Deutschland und dem Tod eines Hochzeiters, schleicht sich der Schrecken ein in die Herberge zum kreglen Seniorenkabarett. Peter Fitz, ein verwittertes Maennlein unterm derben Bauernhut, stapft als Chronist oder Dorfnachbar herbei und schwaermt von eigenhaendig begangenen Greueltaten: Den Nachbarn habe er am ersten Kriegstag in seinem Haus verbrannt, eine Mutter mit ihrem Kind lebendig in Beton gegossen und eine schoene Frau mit meinem Traktor zu Tode geschleift. Mit bedrohlicher Ruhe, halb stammelnd und halb schnatternd wie ein redseliges Kind, spielt Fitz einen Getriebenen, einen Moerder aus Zufall, der mal der Zerstoerung des Miteinandertraums im einst begruendeten ganzen grossen Land die Schuld zu geben scheint an seinen Taten, mal einem offenbar durch den Frevel der Kleinstaaterei verursachten, geradezu naturgesetzlichen Wahrnehmungsverlust: Ich verlor die Gesichter der anderen. Zum ersten- und leider auch letztenmal an diesem Theaterabend macht Fitz Auftritt sinnlich fassbar, was sich als eine Art Kernthese aus Handkes Stueck destillieren laesst und die Wut seiner Gegner erregt: Im Krieg auf dem Balkan morde nicht ein Verbrechervolk im Blutrausch die ehemaligen Nachbarn und Mitbuerger, zu suchen seien die fuer Vertreibung, Vergewaltigung und Metzelei verantwortlichen Verbrecher auf allen Seiten und nicht zuletzt bei den Unheilanrichtern aus dem Westen. Nun koennten die Theaterzuschauer ueber die Frage, ob diese These falsch oder richtig ist, sich entweder die Koepfe zerbrechen oder die Antwort getrost den Leitartiklern, Historikern und den Engeln des Juengsten Tags ueberlassen (von denen Handke die ersteren verachtet und die letzteren beschwoert). Nur leider verfuegt der Autor Handke, 56, der allezeit gegen die Schlagstocksprache der West-Medien wettert, kaum ueber die Macht, seine Gedanken in verstaendliche Worte zu fassen. Leider ist Die Fahrt im Einbaum selbst ein Dokument heilloser Sprachverwirrung und -verhunzung, dessen Autor aufs Graesslichste vernebelt und verkitscht, ironisiert und paradoxiert, wo glasklare Eindeutigkeit und Zuspitzung vonnoeten waeren. Neben ein paar wunderbar poetischen Saetzen der Trauer Was war ein Gesicht doch einmal fuer ein Ereignis! protzt Handke mit schauerlich gestelzten Schimpftiraden gegen die Historie als einer grossen Faelscherin und die Commonsense-Puppen der Medien. Vor allem aber versumpft das Stueck mehr und mehr in einer laengst aus anderen Stuecken gelaeufigen Naturmystik. Im Wald ist Zukunft darf da etwa einer mit heiligmaessigem Pathos behaupten und dazu wird auch noch das Hohelied der Waldfruechte gesungen: Lieb waren sie mir saemtlich, aber die Himbeere war fuer die staerksten UEberraschungen gut. Aufgabe des Urauffuehrungsregisseurs waere es gewesen, eine Schneise durch Handkes Sprachwust und Spintisiererei zu schlagen; doch der Gemuetsmensch Peymann, zu frommer Dienerschaft am Dichterwerk entschlossen, waehlt die besinnungslose Kapitulation vor Handkes Text. Und so geistert nun in Wien fast dreieinhalb Stunden lang eine von den Klaengen einer leider nur herbeizitierten Neue-Welt-Orgel berauschte Schiffsbesatzung ueber die Klapperbuehne: lauter Waldlaeufer, Internationale und Hereingeschneite, die meist bloss Sprechblasen an die Buehnenluft setzen. Und am Ende darf Peter Handkes Gattin Sophie Semin in der Rolle der Fellfrau, zauberschoen und vom Regisseur beklagenswert alleingelassen, von der erloesenden Himmelfahrt im Einbaum und der Ignoranz der Laubsaegefroesche und Schattenficker tirilieren. In der Froschseele des Theaterzuschauers aber regt sich die bange Frage: Musste der Minister Naumann so grausam recht behalten? WOLFGANG HOEBEL Bildunterschriften: S.224 Einbaum-Mitspieler Schwab, Semin, Roman Kaminski: Allein im Zauberland der Beeren M.RITTERSHAUS Regisseur Peymann, Autor Handke: Fromme Dienerschaft CONTRAST / ACTION PRESS Autor: Hoebel, Wolfgang Namen: Peymann,Claus #C; Handke,Peter #C Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 99000240022400 |
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Der Spiegel Nr. 17 vom 26.04.1999 Seite 162 - 164 Titel Besser ein toter Held Renate Flottaus Kriegstagebuch aus Belgrad MONTAG, 19. APRIL Milena lebt mit ihrem asthmakranken Sohn in einem Belgrader Vorort nur 300 Meter von der Chemiefabrik Prva Iskra Baric entfernt. Jeden Abend, wenn die Luftalarmsirenen schrillen, beginnt fuer die 45jaehrige Hausfrau ein Alptraum: Wird meine Familie einen qualvollen Vergiftungstod sterben? fragt Milena. Dreimal wurde das Werk bereits von Nato-Bomben getroffen. Zuletzt am Wochenende. Die Bevoelkerung misstraut der abwiegelnden Informationspolitik der Behoerden. Allzu schnell hiess es nach der Zerstoerung der Petrochemiefabrik von Pancevo, die Ammoniak-Konzentration in der Luft sei ungefaehrlich. Die Belgrader standen auf ihren Balkonen und beobachteten, wie sich ein schwarzes Wolkenmonster immer dichter an die Hauptstadt heranschob, ehe ein Platzregen es aufloeste. Bewohner aus Pancevo berichten, auf den Balkonen gelagertes Gemuese habe sich in weisse Asche verwandelt. Niemand will mehr Salat oder Karotten kaufen. Die Luftverschmutzung ueber der Stadt uebersteigt bereits bei weitem das Normalmass, sagt mir Serbiens Vize-Umweltminister Ferid Hamidovic. Jede weitere Explosion werde zu einer dermassen hohen Konzentration an Schadstoffen fuehren, dass mit vielen Toten zu rechnen sei. Milena bestieg heute morgen keinen der 40 Autobusse, die das Gros der Bevoelkerung aus Baric evakuierten. Die Serbin fuerchtet, Diebe koennten das Haus pluendern. Vorsorglich uebte sie das im Staatsradio empfohlene Szenario: Eine Mullbinde, getraenkt mit in Wasser aufgeloestem Natriumhydrogencarbonat, wird um Mund und Kopf gebunden. Die Fensterfugen hat Ehemann Bogdan schon mal vorsichtshalber vergipst. Das Gelaende des Chemiebetriebs Iskra, der bis Anfang der neunziger Jahre die jugoslawische Armee mit chemischen Waffen versorgte, ist voller Zisternen und Behaelter, die toxische Stoffe enthalten. Angeblich informiert die Nato zwei Stunden vor jedem Raketeneinsatz die jugoslawische Regierung ueber die angepeilten Ziele. Im schlimmsten Fall, beruhigt der Buergermeister von Baric seine Rest-Gemeinde, wuerden die Giftstoffe in den nur 150 Meter entfernten Fluss Save abgelassen. Die muendet bei Belgrad in die Donau. Stadtgespraech ist heute auch der von den Regimezeitungen nachgedruckte Brief der Landesmutter an den britischen Aussenminister Robin Cook. Der hatte Teilen der Praesidentenfamilie Milosevic unterstellt, ausser Landes geflohen zu sein. Ihre ziemlich klugen, wirklich schoenen und mit patriotischem Gefuehl ausgestatteten Kinder teilten das Schicksal des gemeinen Volkes, schreibt mit groesster Missachtung Frau Professor Dr. Mira Markovic, verehelichte Milosevic. Und als Postskriptum fuegt die zornige Verteidigerin der Familienehre noch an, natuerlich besitze man auch keine Villen im Ausland, schon aus finanziellen Gruenden, aber auch weil das eigene Land so schoen sei. DIENSTAG, 20. APRIL Vor einem Kiosk in der Makedonska Ulica stehen Hunderte, da ein Kontingent Zigaretten erwartet wird. Tabak ist Mangelware Nummer eins. Auch Treibstoff kann an den Tanksaeulen nur noch gegen Gutscheine gezapft werden 40 Liter pro Monat. Die Supermaerkte taeuschen immer noch fast westlichen Standard vor. Doch die Lager werden langsam leer, vorausblickende Konsumenten kaufen Mehl und OEl bereits im Zehnerpack. Selbst die Devisendealer sind aus Angst vor dem rigorosen Kriegsgesetz und seinen Strafen von den Strassen verschwunden. Um zehn Uhr zelebrieren der serbische Patriarch Pavle und sein angereister russischer Amtskollege Patriarch Alexij II. eine Liturgie vor der heiligen Sava-Kathedrale. Beim anschliessenden Empfang in der Milosevic-Residenz wird auch Sohn Marko vorgefuehrt. Vater Praesident wirkt grimmig, als er stehend gut 20 Minuten lang die Botschaft des Russen vernehmen muss. Dass Alexij dabei auch beide Seiten zur Gewaltlosigkeit mahnt und eine Rueckkehr der albanischen Fluechtlinge fordert, ist Teil eines der OEffentlichkeit unbekannten Kirchenpokers. Dem Besuch Alexijs sollte ein gemeinsamer Friedensappell des orthodoxen, katholischen und muslimischen Oberhaupts in Belgrad sowie des Rabbi von Jugoslawien vorausgehen. Doch Pavle, der weder Zeitung liest noch Radio hoert, legte ein vorgefertigtes Papier vor, in dem nur die Nato-Angriffe verurteilt wurden. Da spielte unter anderem auch Belgrads katholischer Erzbischof Franc Perko nicht mit. Er insistierte auf einer Verurteilung beider Seiten. Pavle gab nach, zum AErger Milosevics. In seiner Residenz an der Strasse Svetozar Markovic holt der herzkranke Slowene zum politischen Disput eine Flasche selbstgebrannten Kraeuterschnaps aus dem Schrank. Milosevic, sagt der Erzbischof, muesse jetzt einen Kompromiss schliessen. Lehne er eine Uno-Friedenstruppe ab, laute die Alternative Nato-Einmarsch mit Bodentruppen, vornweg die albanische UÇK-Befreiungsarmee. Die Albaner muessten sich selbst verwalten, eine andere Loesung gebe es nicht. Noch diese Woche, so Perko, werde entschieden, ob der Papst vom 7. bis 9. Mai seinen Besuch in Rumaenien mit einer Visite in Belgrad verknuepfe. Erstmals hat sich auch die heilige Synode der orthodoxen Kirche fuer diesen Besuch ausgesprochen eine Chance, die den Vatikan reizt. Doch was, fragt Perko, wenn wir mit diesem Besuch Propaganda fuer Milosevic machen? An die Tuer der erzbischoeflichen Residenz haben serbische Nationalisten mit dickem schwarzem Stift ein Hakenkreuz gemalt. Darunter steht Nato. MITTWOCH, 21. APRIL Am fruehen Morgen schlagen Raketen im ehemaligen Sitz des Zentralkomitees ein, fast im Zentrum Belgrads, nahe dem Save-Ufer. Das 23stoeckige Gebaeude aus der Tito-AEra war stets ein Symbol der Kommunisten. Hier hatte auch Milosevics Sozialistische Partei ihre Bueros, sendete das Jugendradio Kosava (Wintersturm), dessen Direktorin ist Marija Milosevic , Tochter des Praesidenten. Das schoene Hochhaus brennt lichterloh, und die sozialistische Generalsekretaerin Gorica Gajevic wuetet: Wir bauen alles noch hoeher und schoener wieder auf. Doch die Bomben auf das Promi-Buerozentrum oder Sendeanlagen des Staatsfernsehens werden es kaum schaffen, das Gros der Serben vom moralischen Auftrag der Nato zu ueberzeugen. Trotz der vielen Satellitenschuesseln auf den Hausdaechern, der Internet-Zugaenge der Computer, der Radio-Weltempfaenger und der an manchen Kiosken noch zu findenden West-Presse: Fuer die Mehrzahl der Serben sind dies Propagandaschlachten des Westens, die einheimische Version des Geschehens wird als glaubwuerdiger eingestuft. Dass die Kosovo-Albaner brutal vertrieben werden, wissen alle. Und die meisten billigen es. 43 Massengraeber im Kosovo? fragt die regimehoerige Politika und klaert ihre Leser auf: Nichts als retuschierte Fotos, kein Korn Wahrheit. Doch eine angekuendigte Reise auslaendischer Journalisten zu den angeblichen Massengraebern im Kosovo wird von Tag zu Tag verschoben weil, wie das Pressezentrum der Armee mitteilt, man einige Kilometer im Schlamm waten muesse. Als neue Helden praesentieren sich die in Bosniens ethnischen Saeuberungen erprobten Freischaerlerfuehrer wie etwa der vom Haager Kriegstribunal als Kriegsverbrecher angeklagte und von Interpol gesuchte Zeljko (Arkan) Raznjatovic. Der sitzt wie ein Nationalheiliger im Fernsehsender Studio B, einst als Oppositions-TV gepriesen, und toent: Wir werden jedermann toeten und der Nato die Zaehne herausschiessen. Sollte die Munition nicht reichen, werde man dem Gegner die Waffen abnehmen, danach mit Steinen und Gabeln kaempfen und am Ende Frauen und Kinder zur Landesverteidigung einsetzen. Denn, so der Killer mit dem Babygesicht: Es ist besser, ein toter Held zu sein als ein lebendiger Gefangener. DONNERSTAG, 22. APRIL Ruhig war diese Nacht wahrhaftig nicht. Kaum 300 Meter vom SPIEGEL-Buero entfernt, schlagen um vier Uhr morgens die Raketen ein. Sie laedieren die Residenz des Landesherrschers in der Uzicka 15 schwer, verwandeln Teile in einen Truemmerhaufen. Die vormalige Tito-Villa hatte Milosevic erst im Vorjahr bezogen. Setzen die Nato-Strategen jetzt auf die UEberlebensangst des Staatschefs? Waehrend des Bosnien-Kriegs soll sich Milosevic ueberwiegend in den unterirdischen Atomschutzkellern des Militaerflughafens Batajnica aufgehalten haben. Der ist seit Wochen Dauerziel der Nato-Bomber. Klar duerfte sein: Der Hausherr samt Familie befand sich in einem sicheren Versteck. Jetzt herrscht in Belgrads Prominentenviertel Dedinje mit seinen Prunkvillen Panikstimmung. Schon am Morgen verlassen drei Familien, deren Haeuser in unmittelbarer Nachbarschaft zu Freischaerlerboss Arkan liegen, fluchtartig die Stadt. In Batajnica, berichtet die Zeitung Blic, verkaufen Hausbesitzer zu Schleuderpreisen ihre Grundstuecke. Peter Handke, oesterreichischer Schriftsteller und Wahlserbe, macht sich von Salzburg aus heute per Auto auf den Weg in das Kosovo. Handkes neues Drama spielt irgendwo auf dem Balkan und soll nach der Wiener Urauffuehrung im Juni auch am Belgrader Volkstheater inszeniert werden. Das Volkstheater gibt derzeit Samson und Dalila, und seit Beginn der Nato-Luftangriffe sind alle Vorstellungen ausverkauft. Die Sirenen des Luftschutzalarms werden ignoriert. Das Theater beruhigt die Menschen, sagt Chefdramaturg Milos Kleckovic. Der Schauspieler Tihomir Arsic stuermt in das Buero, umarmt den Dramaturgen und will ein paar Minuten Buehnenluft schnuppern. Arsic steckt in Militaeruniform, die lila Baskenmuetze laessig auf dem Kopf. Die Armee hat ihn vor kurzem rekrutiert. Arsic ist auch Parlamentsabgeordneter der Neuen Demokratie. Gestern habe er seinen bisherigen Intimfeind, den Ultranationalisten Vojislav Seselj, auf der Brankov-Bruecke umarmt, erzaehlt der Schauspieler: Was kein serbischer Herrscher jemals schaffte, gelang Bill Clinton: Er einte alle Serben. FREITAG, 23. APRIL Kurz vor 23 Uhr setzten gestern nacht die Sirenen ein. Aus den Hochhaeusern im Stadtteil Zvezdara stroemten die Menschen auf den Stadtfriedhof. Statt im Schutzkeller verbringen sie die Naechte lieber in der Sektion Franzoesische Graeber. Plaudernd sitzen Alt und Jung trotz des leichten Nieselregens auf Baenken oder Marmorplatten, vor Mausoleen und kunstvollen Statuen. Alle fuehlen sich sicher. Denn niemals in der Geschichte Serbiens ist dieser Elitefriedhof, auf welchem noch die Ahnen aus dem vergangenen Jahrhundert ruhen, von einem Krieg verwuestet worden. Um zwei Uhr nachts sendet das Belgrader Staatsfernsehen Nachrichten. Ein Interview, das Staatspraesident Milosevic einem texanischen Fernsehsender gab, wird wiederholt. Ploetzlich bricht der Ton ab, die Aufzeichnung wird zum Standbild. Meh- * Mit Milosevic-Sohn Marko und -Ehefrau Mira Markovic am 20. April. rere Explosionen sind ueber Belgrad zu hoeren. Um drei Uhr zeigt Studio B bereits Originalbilder vom Einschlag: Das Gebaeude des staatlichen Fernsehens wurde getroffen, ein vierstoeckiger Seitenfluegel zerstoert. Ein Feuerwehrteam zieht verstuemmelte Koerper aus den Truemmern, einige Verletzte retten sich ins Freie. Die Nacht zuvor hatten die meisten Mitarbeiter im Schutzkeller verbracht, denn es war gewarnt worden, die Fernsehgebaeude stuenden auf der Zielliste der Nato-Bomber. Einen Tag spaeter nahm keiner mehr die Drohung ernst. Jetzt gab es etwa ein Dutzend Tote und viele Verletzte. Um zehn Uhr liegt noch immer beissender Rauch- und Russgeruch ueber der Senderruine. Schaulustige stehen diskutierend davor. Erstmals bleiben die patriotischen Durchhalteparolen und Siegeschoere aus. Der Kampf um jeden Preis verliert an Attraktivitaet. Nur noch die Politiker leiern, wenn auch wenig ueberzeugend, ihre Racheschwuere herunter. Etwa 100 000 Arbeiter verloren bereits ihre Jobs in den zerstoerten Betrieben. Die Hauptexportzweige der serbischen Industrie wurden systematisch zerbombt. Nach dem Krieg, vermuten Experten, werde die Wirtschaft auf dem Niveau von 1945 stehen. Schon vor diesem Konflikt betrug die geschaetzte Arbeitslosenrate 50 Prozent. Noch vier Wochen, sagt ein junger Mann mit kahlgeschorenem Kopf, und Belgrad wird aussehen wie Sarajevo. Noch immer befindet sich Sat-1-Reporter Pit Schnitzler in serbischer Haft. Der habe, sagt ein eingeweihter Polizist, zu impulsiv reagiert. Geruechte werden gestreut, man wolle Schnitzler wegen Spionage anklagen. Natuerlich will das Regime damit auch uns, die restlichen westlichen Journalisten, einschuechtern. Immer wieder werden wir beschuldigt, durch unsere Berichterstattung Hauptverantwortliche fuer die Bombardierung Jugoslawiens zu sein. Der japanischen Botschaft, die Deutschlands Interessen seit Abbruch der Beziehungen in Belgrad vertritt, wurde bislang nicht erlaubt, direkten Kontakt zu Schnitzler aufzunehmen. Bildunterschriften: S.162 Naechtliche Bombardierung des ehemaligen ZK-Gebaeudes in Belgrad: Wir bauen alles hoeher und schoener wieder auf T.PETERNEK / SYGMA S.163 AP Die Balkan-Korrespondentin des SPIEGEL, Renate Flottau, 54, die in Pristina Zeugin der serbischen Schutzhaft des Albaner-Fuehrers Ibrahim Rugova wurde, verfolgt das Kriegsgeschehen derzeit in Jugoslawiens Hauptstadt.S.164 Brennende Raffinerie in Pancevo: Kein Korn Wahrheit GAMMA / STUDIO X Praesident Milosevic, Gast Alexij II.*: Clinton einte alle Serben AP Autor: Flottau, Renate Themen: Jugoslawien; Belgrad; Kosovo; Kriege Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 99000170016200 |
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Der Spiegel Nr. 8 vom 22.02.1999 Seite 191 Am Rande Lebender Schild Endlich ist er wieder zur Stelle, unser goettergleicher Friedens-Peter. Seine Botschaft an die Unterdrueckten und Vermaledeiten aller Erdteile: In Gefahr und groesster Not / scheut der Peter nicht den Tod. Mein Platz ist in Serbien, sollten die Nato-Verbrecher das Land bombardieren, sagte der oesterreichische Grossschriftsteller Handke, schon seit laengerem eine Art Vater Teresa der schoenen Literatur, dem serbischen Staatsfriedensfernsehen in Rambouillet. Waehrend dort die Verhandlungen ueber den Kosovo-Konflikt in die soundsovielte Sackgasse gerieten, vernahm die Weltoeffentlichkeit die tapferen Worte des Dichters wie eine Befreiung, eine Lehrstunde der wahren Empfindung. Ja, moechte man nun selbst ganz euphorisch ausrufen, ja ihr Dichter und Denker, geht hinaus und werft euch vor die Panzer der westlichen Kriegstreiber. Euer Platz sei an der Seite der Gedemuetigten und Beleidigten in Belgrad! Mit dem Instinkt des grossen Sensibilisten, Brunnenwasserkosters und Cafemoralisten verspuert Handke den historischen Gezeitenwechsel. Nun ists genug mit all der Ungerechtigkeit, dem Unfrieden und der Angst. Hoechste Zeit, den serbischen Opfern der kriegsluesternen Euro-Banditen beizustehen. Ja, als das Wuenschen noch geholfen hat, da konnte man ein Bewohner des Elfenbeinturms sein und in groesster Zartheit die Angst des Tormanns beim Elfmeter beschreiben. Nun aber, da die Chronik der laufenden Ereignisse schreckliche Phantasien der Wiederholung hervorruft, legt Handke seinen schon begonnenen kurzen Brief zum langen Abschied beiseite und fordert: Freiheit fuer Milosevic Kampf den Vasallen des US-Imperialismus! Nieder mit der Schroeder/Fischer-Bande! Stoppt die feige Aggression der Kosovo-Albaner! Gluecklich die Welt, die solche Poeten hat. Dichter in den Bombentrichter! Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 99000080019102 |
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Der Spiegel Nr. 8 vom 16.02.1998 Seite 176 - 178 AUTOREN Immer mir nach! Der Schriftsteller Peter Handke laesst in seinem neuen Buch die romantische Idee des Fragments wieder aufleben. Die sensible Innenschau zeigt den umstrittenen Dichter als Artisten der Selbstdarstellung: radikal, sogar gegen sich selbst. Von Volker Hage Handke, der Amoklaeufer: Gaebe es das scheussliche, das falsche Lachen nicht in meinem Land, koennte ich mich mit meinem Land versoehnen. Koennt ihr nicht endlich anders lachen lernen? Sein heimlicher Wunsch: Endlich einen von euch Witze-Erzaehlern erschlagen - so notiert in OEsterreich, Juli 1983. Handke, der Friedliebende: Die Erde mit den Baeumen und Felsen in der Sonne: die Erde will nicht, dass wir Krieg fuehren - Isonzo, Oktober 1983. Handke, der Voyeur (an der Cote dAzur): Dankbar betrachte ich jene eine junge Frau, die ihre Brueste verborgen haelt, und lasse die nackten Busen gelten an denen, die nichts mehr zu verlieren haben. Handke, der Schwaetzer: In Betrachtung des Schnees sich zum Schneemann erweitern. Handke, veraechtlich: So zerstoererisch, Frau, bist du, weil du ohne Abgrund bist. Handke, auftrumpfend-selbstkritisch: Ich brauche niemanden und verdiene keine Liebe. In dieser Woche erscheint unter dem Titel Am Felsfenster morgens die vierte Lieferung Handkescher Zumutungen und Offenbarungen, eine neue Sammlung tagebuchaehnlicher Fragmente und Skizzen aus den Jahren 1982 bis 1987, einer Zeit, da der in Kaernten geborene Autor, zusammen mit seiner Tochter Amina, in Salzburg lebte*. Das mehr als 500 Seiten umfassende Buch enthaelt Tausende solch intimer, irritierender, irrlichternder Prosabruchstuecke und endet mit dem Abschied von OEsterreich (zugleich dem Schulabschluss des Maedchens). Peter Handke, 55, wohnt heute in der Naehe von Paris. Wenn er jetzt diese mehr als zehn Jahre alten, vornehmlich um die eigene Person kreisenden Notate nachreicht, so koennte das auch eine indirekte Reaktion auf die herbe Kritik an seinem publizistischen Einsatz fuer die serbische Seite im Balkankrieg sein. Der seit seiner Polemik Gerechtigkeit fuer Serbien, jener Winterlichen Reise nebst Sommerlichem Nachtrag (beide 1996), heftig umstrittene Autor zeigt sich einmal mehr in seinen Widerspruechen, in * Peter Handke: Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982 - 1987). Residenz Verlag, Salzburg; 544 Seiten; 58 Mark. seinen Verzagtheiten, Verletzlichkeiten und Selbstzweifeln, in Groessenwahn und Verruecktheit; das alles ungeschuetzt und, wenn man ihm glauben darf, weitgehend unbearbeitet, ohne nachtraegliche Selbstzensur. Seht her, so bin ich! So scheint er sagen zu wollen. Nehmt mich ganz oder gar nicht! Was fuer andere das Handy in der Jackentasche ist, sind fuer ihn auf allen Wegen Stift und Papier (Gefuehl der Vollstaendigkeit); die Bleistifte nennt er seine getreuen Knappen, das Notizbuch seine Taschen-Uhr. Die fluechtige Notiz kultiviert Handke schon seit seinem Journal Das Gewicht der Welt (1977). Diesem Buch folgten zwei weitere dieser Art, an die das Felsfenster nun chronologisch anschliesst: Die Geschichte des Bleistifts (1982) und Phantasien der Wiederholung (1983). Dass da einer seine Aufzeichnungen zunaechst als Ideensammlung fuer Erzaehlungen oder Theaterstuecke begonnen hatte, sie dann aber ploetzlich nicht mehr in einen Zusammenhang bringen wollte, sondern Spass an ihnen fand, sie fuer sich stehen liess und ohne Absicht zur literarischen Weiterverarbeitung fortsetzte, das verstoerte viele Kritiker. Da war von der Beliebigkeit dieser Skizzen die Rede, von himmelschreienden Banalitaeten, unfruchtbar, langweilig, wirklichkeitsleer wurde die Prosa genannt. Dabei ist der Autor innerhalb der neueren Literatur deutscher Sprache in bester Gesellschaft. Von Rolf Dieter Brinkmann (1940 bis 1975) und Elias Canetti (1905 bis 1994) ueber Peter Ruehmkorf bis hin zu Botho Strauss: eine einzige Abkehr von der zusammenhaengenden Geschichte, protokolliert in fragmentarischen Aufzeichnungen, in Tage- und Notatbuechern, die gewissermassen an die Stelle der nicht geschriebenen Romane und Erzaehlungen treten. Die Haltung der Autoren schwankte und schwankt dabei zwischen Gelassenheit und Verzweiflung. Der Prozess des Schreibens hat etwas Unendliches, notierte der weise Canetti (Das Geheimherz der Uhr). Was man als endgueltig aufschreibe, sei es am wenigsten. Vielleicht habe gerade das Unsichere und Fluechtige - durch sein Fehlendes - Bestand. In Brinkmanns postum publizierten Tagebuechern, die er selbst eine Montage aus springenden Gedanken und flackernden Bildern nannte, ist die selbstquaelerische und ergebnislose Suche nach dem Romananfang ebenso zu verfolgen wie in Ruehmkorfs penibel ausgearbeitetem Journal Tabu I (1995), das, einst als Materialsammlung fuer einen geplanten Zeitroman angelegt, durchaus als Suche nach dem verlorengegangenen Erzaehlfaden (Ruehmkorf) zu begreifen ist. Wo der eine Autor vor der Aufgabe des Romans vergnuegt resigniert, hadert der andere - wie Botho Strauss (Paare, Passanten) - mit der Lust am taeglichen Notieren. Das Journal, so Strauss, sei in seiner Formlosigkeit nur dem Alptraum vergleichbar. Es ist ein altes Lied. Schon dem jungen Robert Musil erschien zu Beginn dieses Jahrhunderts das Tagebuch als die bequemste, zuchtloseste Form. Er befuerchtete, dass man eines Tages ueberhaupt nur Tagebuecher schreiben werde, da man alles andere unertraeglich findet. Katherine Mansfield nahm sich 1916 vor: Keine Romane, keine Problemgeschichten, nichts, was nicht einfach, offen waere. Sie wolle ein Notizbuch fuehren, um es eines Tages zu veroeffentlichen: Das ist alles. Waehrend Kafka an seiner Tagebuch-Sucht verzweifelte (Ich verbrauche mich sinnlos) und Thomas Mann, selbst disziplinierter Diarist, einem jungen Kollegen zur Abstinenz gegenueber der Tagebuch-Selbstgenuegsamkeit riet, begeisterte sich Andre Gide geradezu fuer das Lebendige, Impulsive, Unangemessene, Unvermittelte und Unverfaelschte des unmittelbaren, gewissermassen unueberlegten Notats - wenn ein Gedanke sich nicht einmal die Zeit nimmt, wie Gide formulierte, sich die Schuhe anzuziehen, ehe er davonlaeuft. Kein Zweifel, dass in diesem Jahrhundert die Aufzeichnungen, die Arbeits- und Reisejournale, die privaten Mitschriften, die Skizzen und Entwuerfe vom Rande der Literatur ins Zentrum gerueckt sind. Die klare Trennung zwischen Werk und Notiz, an der noch das Herz Thomas Manns hing, scheint aufgehoben zu sein. Das reine Tagebuch, das als Privatsache gefuehrt und allenfalls im Nachlass gefunden wurde, zaehlt schon zur Ausnahme. Mischformen bestimmen das Bild, Ausgefeiltes findet sich neben rasch Hingeworfenem. Die Romantiker wollten das Fragment zur eigenstaendigen literarischen Gattung - neben Lyrik, Drama und Roman - erheben: Es sollte, so die Idealvorstellung Friedrich Schlegels, gleich einem kleinen Kunstwerk von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein Igel. Ob nun Journal, Skizzenheft, Ideenmagazin (Kleist) oder - wie Peter Handke es nennt - Augenblicks-, Stunden- und Tages- (oder Nacht-)Sammlungen: Gemeinsam ist all diesen Aufzeichnungen, dass in ihnen die Frage nach ihrem Verhaeltnis zu den traditionellen Formen der Literatur unentwegt verhandelt wird. Es bleibt ein Paradox: Einerseits ist das zusammenhaengende Erzaehlen von Geschichten weitgehend aufgekuendigt worden, andererseits scheint die Frage vorzuherrschen, ob und wie eine Erzaehlung heute noch aussehen koennte. Auch in Handkes Am Felsfenster morgens ist - wie bei den drei Vorlaeufern - immer wieder davon die Rede. Als Erzaehler moechte der Dichter kein Verschlinger der Wirklichkeit sein, vielmehr versteht er sich als lyrischer Epiker, den es zwar zum Erzaehlen draenge, aber ohne Geschichte. Fuer ihn sind die meisten Romane oder Erzaehlungen heute ein Missbrauch der Phantasie. Als das Jahr 1982 zu Ende geht (wieder einmal der 31. Dezember), fuehlt Handke in sich das Versprechen, die Verpflichtung, zu Werken. Doch gleich zu Beginn des neuen Jahres, nachts in Verona, nimmt er sich vor: Huete dich vor dramatischen Formen. Jeder Satz duerfe nur ein Tupfer sein. In immer neuen Anlaeufen und Annaeherungen werden quer durch das Buch Qual und Lust des Erzaehlens erwogen. Waehrend das verknuepfende, epische Schreiben ihn als Autor erschoepft, moechte er, der Meister der Daemmerung, gern die Sprache der Welt sprechen, jene der Sonne, der Blumen, der Voegel, der Luft. Und er ist fleissig in seinem Haus auf dem Salzburger Moenchsberg. Handke vollendet waehrend der gut fuenf hier protokollierten Jahre vier zum Teil laengere Erzaehlungen. Das Notatbuch hat also - anders als Ruehmkorfs Tabu-Buch - nicht so sehr Ersatz- als Begleiterfunktion. Die Figuren aus den entstehenden Buechern tauchen darin so selbstverstaendlich auf, als waeren es alte Freunde. Immer wieder wird hautnah spuerbar, wie anfaellig und empfindlich die Handkesche Produktion ist. Nur aus der aeussersten Einsamkeit heraus sei es ihm moeglich, episch zu schreiben, nur aus dem aeussersten und hintersten Winkel einer Einsamkeit, die ihn zugleich schuetze. Der Anspruch an sich selbst ist schwindelerregend: Verfehle ich die Form, so verfehle ich das Leben - eine radikale Devise. Hat er es auch eine Nummer kleiner? Gleich neben dem die Schrift betreffenden Pathos steht finsterer, bisweilen auch ulkiger Groll gegenueber jeder Stoerung. Durch sein hirnrissiges Zeitunglesen etwa verbanne er sich aus dem weiten Land der Erzaehlung, die Folge davon sei ein Schrumpfherz, ein welker, schwerer, blutleerer Beutel, ueberhaupt entfalle ihm beim Zeitunglesen augenblicks alles, worueber ich mich gerade noch gefreut habe. Und so dringt von der Welt draussen, der Welt der Nachrichten, Meinungen und Informationen, kaum ein Hauch in die Welt seiner Poesie, auch nicht in das jetzt veroeffentlichte Journal. Und wenn sich doch ein Echo auf das Tagesgeschehen findet, dann leicht irrefuehrend. Offenbar am 18. Februar 1985 stoesst Handke auf einen Bericht ueber ein waehrend des Falklandkriegs im Mai 1982 von den Briten versenktes argentinisches Kriegsschiff. Die 368 Toten der Belgrado - das empfindet er als Inschrift, die ein Aufmerken erfordert. Doch abgesehen davon, dass es etwas weniger Tote waren, als die Meldung angab: Der Name des Schiffes war Belgrano. Der Krieg ist als unterschwellige Drohung und fruehkindliche Erinnerung stets praesent in Handkes Aufzeichnungen. Er, im Krieg geboren, erinnert sich daran, im Mai 1963 seine erste Erzaehlung ueberhaupt nach der Entdeckung eines ehemaligen unterirdischen Bunkers bei Graz geschrieben zu haben. Und wenn er Landkarten betrachtet, die Ortsnamen liest, verspuert er das Beduerfnis, gut zu sein, und er hat die Sehnsucht, dass Friede herrsche. Ein kindlicher Blick? Fuer Handke kann das kein Vorwurf sein, er empfindet sein Schreiben geradezu als Probe auf meine Kindlichkeit, es bedeutet fuer ihn nichts anderes als entzifferndes Wiederfinden der Kindheit. Alles Ironische ist ihm verhasst, bei Th. B. (Thomas Bernhard) etwa empfindet er es als eine Art Verrohung. Immer wieder wandert er durch das noch grosse Jugoslawien, macht regelmaessig Abstecher in die Karstlandschaft, bis nach Italien. Am Rande des Karstes ist ihm Europa als Schlachtfeld der Geschichte besonders praesent - lange vor dem Ausbruch des Krieges auf dem Balkan. Im April 1983 notiert er in Ljubljana: Allerschoenst seien die Augen der Menschen im Frieden. Und waehrend der Arbeit an der ueberwiegend in Slowenien spielenden Erzaehlung Die Wiederholung (1986), also lange vor jeder erkennbaren Sezessionsabsicht der Slowenen, fragt er sich, ob es nicht auch deren Staerke sei, keinen Staat zu bilden, kein Staatsvolk sein zu wollen - als laege die Bedrohung schon in der Luft. Vier Jahre nach Abschluss des Journals wird er seine kleine Schrift Abschied des Traeumers vom Neunten * 1996 im Wiener Akademietheater waehrend einer Diskussion ueber den Balkankrieg. Land veroeffentlichen, seine ganz persoenliche Erinnerung an Slowenien. Licht und Luft, wie sie wechseln von Gegenstand zu Gegenstand: so moechte ich es, Hunderte lichte und luftige Seiten lang, beschreiben und erzaehlen koennen - das ist sein heiliger Wunsch, und er weiss, dass die Aufzeichnungen nur ein Ersatz sein koennen. Dennoch gelingen ihm auch hier meisterhafte kleine Genrebilder, kurze Szenen, Beobachtungen. Etwa: Ein winziges Kind, auf dem Dreirad, bruellte: ,Immer mir nach! Aber niemand folgte ihm - steckt da nicht sogar eine kleine selbstironische Wendung drin? Buecher wie Am Felsfenster morgens sind ein reines Minderheitenprogramm - weder reisst hier der Strom der Erzaehlung mit, noch hat es da einer auf blitzende Einsichten, funkelnde Formulierungen abgesehen. Es ist ein muehsames Geschaeft, diesen kleinen Prosabrocken zu folgen, kaum am Stueck zu erledigen. Gewiss haette es nicht schaden koennen, das Programm etwas zu beschraenken, die Seitenzahl zu reduzieren (rund drei Viertel seiner Aufzeichnungen will Handke vorher herausgekuerzt haben), andererseits lebt eine solche Sammlung auch von Banalitaeten und Beliebigkeiten, in denen sich unvermittelt ein Riss auftun kann. Oder wie es Max Frisch angesichts des eigenen Tagebuchs einmal formulierte: Man koenne eine Bloesse nicht kuerzen, kuerzen koenne man hoechstens den Mut zur Bloesse. UEberraschend bleibt am Ende, wie frisch sich diese Notizen aus der Zeit vor der Wende von 1989/1990 lesen. Offenbar erweist sich in Zeiten des Umbruchs und einer ungewissen Zukunft gerade die Skizze als das Stabile, das Tragende. Peter Handke laesst sich ohnehin von den Sprachgewandten, zu denen er sich erklaertermassen nicht rechnet, wenig irritieren. Zur Not erscheint ihm eben, wie einst Rilke in Duino, ein Engel, der ihm zuruft: Diese dort haben die Rede; du aber hast, hin und wieder, das Wort - wer wollte da widersprechen? Bildunterschriften: S.176 Autor Handke (an der Drina, Mai 1997): Verfehle ich die Form, verfehle ich das Leben B.ZLADKO S.177 Handke-Themen Falkland-, Balkankrieg*: Die Erde will nicht, dass wir Krieg fuehren (li.)GAMMA / STUDIO X, (re.)C.JOHNSON / GAMMA / STUDIO X S.178 Streiter Handke*: Schlachtfeld der Geschichte H.WEBER Leser Handke (in Salzburg 1985): Hirnrissiges Zeitunglesen Autor: Volker Hage Namen: Handke, Peter Themen: Buchtitel Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 98000080017600 |
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Der Spiegel Nr. 17 vom 21.04.1997 Seite 211 - 213 LITERATUR Die Weisheiten des Konfusius Peter Handkes juengster Roman erzaehlt von Bibelmythen, Rittern und einer grossen Liebe - und ist doch eine heillos wirre Heilsbeschwoerung. Von Wolfgang Hoebel Dichter sind Guenstlinge des Schicksals. Nicht bloss ein Leben haben sie oder sieben, sondern so viele, wie sie Buecher schreiben. Denn jedem Werk wohnt der Zauber eines radikalen Neubeginns inne: Alles auf Anfang, lautet die Losung, neues Spiel, neues Glueck. Mit dem einen, dem grossen Wurf liesse sich vielleicht tatsaechlich alles vorher Geschriebene, alles Mittelmaessige und Misslungene auf einen Schlag vergessen machen - und aus einem zuvor missachteten Poeten wuerde ploetzlich ein strahlender Dichterfuerst. In Peter Handkes juengstem Buch jedenfalls tritt ein Schriftsteller auf, der eines Nachts von einem Nachruf auf sich selber traeumt, gesprochen von einer weiblichen Radiostimme mit gehaessigem Unterton: Eine Kette von Misserfolgen und Niederlagen sei das Schaffen des Verstorbenen gewesen, behauptet die Nachruferin. Heissa, was packt den wackeren Dichter da sogleich ein heilig-heiterer Zorn: Wartet nur, ruft er aus, ich habe mein Buch noch gar nicht geschrieben. Und das wird ein Buch sein, wie es noch nie eines gegeben hat, als Buch nicht spuerbar, nicht sich ins Bild schiebend, nicht dingfest zu machen, gewichtslos, und doch ein Buch - wenn je eines. Der Dornbusch dazu brennt schon. Handkes neues Buch ist, nach der Zaehlung des Verlags, der 21. Erzaehlprosa-Band des 54jaehrigen Schriftstellers. Umschlag und Titelblatt behaupten, es handle sich um einen Roman; der Titel ist auf sehr Handke-typische, verquere Weise schlicht und lautet In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Schon wer nur ein paar Seiten liest, der weiss: Dies ist kein Buch, wie es noch nie eines gegeben hat. Es ist ein Serienprodukt, das juengste Modell aus einer Reihenfertigung, die dereinst vielleicht den Sammelnamen tragen wird: Auf der Suche nach dem verlorenen Heil. Wie seit jeher bei Handke findet sich allerlei Wunderbares, wundersam Zartes auf diesen knapp 320 Seiten: klirrend genaue Beobachtungen von weissen Wieseln und von Graesern, die sich im Wind neigen; scharfsinnige Gedanken ueber Dinge, deren Alltaeglichkeit gewoehnliche (und deshalb weniger aufmerksame) Menschen blind macht fuer ihre Bedeutung. Wem etwa ist vor Peter Handke aufgefallen, dass der Ausbau von Strassenkreuzungen zu Verkehrskreiseln dem Autoreisenden die Empfindung raubt fuer die Himmelsrichtung, die er eingeschlagen hat? Wer haette bemerkt, dass die Untertunnelung der Gebirge das Unterwegssein einer Geisterbahnfahrt immer aehnlicher macht, bei der der Ausstieg gleich neben dem Einstieg zu liegen scheint? Wie in fast all seinen Buechern und Theaterstuecken seit der 1979 erschienenen Langsamen Heimkehr trauert der Dichter Handke auch hier einer Zeit nach, in der die Welt noch nicht aus den Fugen war, in der sich die Menschen noch gemaechlich fortbewegten und die Entscheidung ueber Gut und Boese noch Instanzen ueberliessen, so zum Beispiel den Regenten zu der Zeit der Koenige. Wie in fast allen Werken der letzten Jahre besingt er die Schoenheiten, die Farben und die Gerueche der Natur, das Schwimmen im Fluss beim Rauschen oder Rasseln der Pappeln beidseits von den Ufern. Nur, und das wird vor allem die hart geprueften Leser seines irrwitzig maeandernden 1000-Seiten-Konvoluts Mein Jahr in der Niemandsbucht aus dem Jahr 1994 freuen: Nach seiner Exkursion an den Nullpunkt des Erzaehlens, in die nahezu totale Ereignislosigkeit gibt sich Handke diesmal wild entschlossen, eine klare und einfache Geschichte zu erzaehlen, eine Liebes- und Abenteuergeschichte, wie es einmal im Buch heisst. Die Handlung laesst sich tatsaechlich einigermassen buendig zusammenfassen: Held der Geschichte ist ein Apotheker aus dem Salzburger Stadtteil Taxham. Der Mann hat sich vorgenommen, den Sommer in selbstgewaehlter Einsamkeit zu verbringen. Seine Frau, von der er sich laengst entfremdet hat, ist allein in den Urlaub an einem suedlichen Ort aufgebrochen; die erwachsene Tochter ist ebenfalls verreist, der erwachsene Sohn verstossen und verschollen. Eines Nachts, der Apotheker ist auf dem Weg zu seiner Stammwirtschaft, einem Erdkeller unweit des Salzburger Flughafens, versetzt ihm irgendwer im Wald einen Schlag auf den Kopf - und er verstummt. In der Wirtschaft sitzen ein einst beruehmter Skifahrer und ein einst beruehmter Dichter, und mit diesen beiden bricht der nun sprachlose Held zu einer Autofahrt, offenbar Richtung Spanien, auf. Unterwegs nach Santa Fe begegnen sie einer ebenso geheimnisvollen wie gewalttaetigen Frau, die zwar zunaechst verschwindet, aber den Protagonisten von nun an in Bann zieht: Auf einer langen Pilgertour, zu Fuss durch die Steppe westlich von Santa Fe, erfaehrt er Laeuterung, findet seine Sprache und die (nun friedliche) schoene Fremde wieder. Das alles liesse sich zu einer spannenden Gruselstory formen, zum Psychogramm eines von Schuld und Lebensverzweiflung gebeutelten Mannes - oder zu einer zauberhaften Liebesgeschichte. Peter Handke aber ist jeder Form abhold, er moechte, wie sein Ich-Erzaehler nimmermuede betont, die Dinge in der Schwebe lassen. Ebendies ist ihm Rechtfertigung genug, um noch dem klitzekleinsten Einfall und der anspielungsbesoffensten Koketterie nachzugeben. Sein Held beispielsweise liest gern mittelalterliche Ritterromane; also muss er selbst eine Art Ritter sein, der zwar keinen Namen hat, aber von seinen Kollegen Apotheker von Taxham gerufen wird - und dieser Edle von Taxham trifft nicht bloss geborene Edelfraeulein, sondern mitten in der spanischen Wuestenei auch noch einen Suchtrupp auf den Spuren eines ollen Ritters von traurigster Gestalt. Das Bibelmotiv vom verlorenen Sohn wird hier ebenso gesucht beilaeufig durchgeorgelt wie die Kunst des Selbstzitats. Ebenfalls in der Einoede stoesst der Held auf den dort als Einsiedler lebenden Salzburger Emigranten Andreas Loser, einen Lehrer fuer alte Sprachen und selbsternannten Schwellenkundler, der Handke-Lesern aus Der Chinese des Schmerzes wohlbekannt ist. (Die schoene Unbekannte uebrigens heisst die Siegerin und ist eine Verliererin, der gute Loser also geht nach dieser Logik als Gewinner durch.) Und als sei nicht schon in der Niemandsbucht erschoepfend das Einmaleins der Pilzkunde durchgenommen worden, uebt sich auch der Apotheker im Sortieren, Sammeln und Anknabbern von gelaeufigen und exotischen Pilzen. An dieser Stelle muss es heraus: Der ganze Roman liest sich, als habe der Autor die halluzinierende Wirkung gewisser Pilzsorten erprobt und leider auch beim Durchsehen des fertigen Manuskripts den klaren Verstand nicht wiedergewonnen. Ein Abenteuerepos fuer unsere Zeit wollte Handke schaffen, einen salzburgischen Indiana Jones schickt er da durch ein von Kriegen und allerlei Fortschrittsungemach geplagtes Europa: Das Resultat ist ein ziellos-geschwaetziges Schauermaerchen, in dem bald Raben zu den Menschen plaudern, bald schoene Jungfrauen sich in haessliche Schreckensgestalten verwandeln (und dann, zurueckverhuebscht, mit einem noblen Ritterknaben in die Ferne entschwinden). Keine Erklaerungen, keine Begruendungen mag der Apotheker dem Erzaehler zu seiner Geschichte liefern, das Staunen wollen Handke und seine Figuren lehren, weshalb das Wort erstaunlich hier nervtoetend oft als Schluesselvokabel bemueht wird. Albern und pseudokostbar ist nicht die wunderliche Umarmung, die der an den Grenzen der Welt gelaeuterte und hemmungslos Liebe verstroemende Held den lieben Vorfahren, dem lieben Vater und der lieben Mutter imaginaer zuteil werden laesst - albern und aufdringlich ist die Manie des Autors, noch dem duemmsten Leser klarzumachen, dass es sich hier um ein Wunder handelt. Das ist das vielleicht Erschreckendste, was sich ueber das Buch eines Autors sagen laesst, dem man seit nun bald zwei Jahrzehnten vorwirft, er sei ein Rauner und Heimlichtuer: In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus hat kein Geheimnis. Der frei flottierende Fabulierstrom des Dichters Peter Handke sucht sich immer neue kuehne Wendungen, um zu verblueffen und zu ueberraschen - und doch regt sich beim Leser nie die Neugier, den Mysterien dieser Verwicklungen auf den Grund zu gehen. Das Merkwuerdige, Staunenswerte an diesem Buch ist nicht die Komposition, die hier Rittersleut und Western-Desperados, Buergerkrieg und Naturlyrik zusammenfuegt, sondern allenfalls die Konfusion, mit der das geschieht. Warum etwa wird der Maerchenort Santa Fe umstaendlich als Nachtwindstadt bedichtet, wenn man spaeter erfaehrt, dass in Spaniens Staedten offenbar gar ueberall der Wind des Nachts um die Haeuser blaest? Wieso bruestet sich der Apotheker zunaechst, in seiner Geschichte komme der Tod nicht vor, wenn er kurz vor Schluss ein paar Mountainbike-Fahrer abmurkst, einfach so, mit dem Stock, den ich dabei hatte, im Vorbeilaufen erschlagen? Koennte es sein, dass der Berichterstatter Handke hier nur so vor sich hinplappert, weil er sich an eine der esoterischen Weissagungen dieses Buches haelt: Und wenn dein Reden auch stockfalsch und bloedsinnig ist: Hauptsache, du tust wieder den Mund auf? Immerhin, sosehr sich hier Handlungsfaeden verwirren und Wortknaeuel ballen, hoechst unvermittelt gelingen Handke auch diesmal ein paar jener Behauptungen von schutzloser Direktheit, fuer die man selbst seine misslungensten Buecher lieben muss. Ja, auf Mann und Frau wartet heute von Anfang an der Hass, heisst es einmal, so viel Schmutz und Verschmutzung zwischen den Geschlechtern wie heutzutage war noch nie. Und die nicht schmutzig sind, das sind die Dummen. Vielleicht war das immer schon so. Aber wenn, dann sicher noch nie so arg und so nackt. Ein andermal liest man: Es ist keinem zu trauen, der nicht wenigstens zeitweise von sich begeistert ist. Vermutlich stimmt das sogar; doch ein bisschen weniger Begeisterung des Dichters Handke fuer sich selbst, eine Spur mehr Skepsis gegen die eigene Einfallsflut und Reflexionswut waere diesem Buch gut bekommen. Vielleicht glimmt der Dornbusch ja nur. Bildunterschriften: S.211 Schriftsteller Handke in seiner Pariser Wohnung: Und wenn dein Reden bloedsinnig ist: Hauptsache, du tust den Mund auf A.ASSOULINE / OPALE Peter Handke In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 316 Seiten 48 Mark Autor: Wolfgang Hoebel Namen: Handke, Peter Themen: Buchtitel Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 97000170021101 |
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Der Spiegel Nr. 12 vom 18.03.1996 Seite 216 - 219 Autoren Eine boese Harmonie SPIEGEL-Redakteur Reinhard Mohr ueber Peter Handkes Leseprozession zum Wohle der Serben Die Kostuemierung passt zur Inszenierung. Unter einem sackfoermigen Wolloberteil raffen Bundfalten graue Tuchkaskaden zusammen, die den andersschmalen Dichter umhuellen wie einst das Moenchsgewand den Franz von Assisi: Ganzkoerperschutz eines routinierten Fastergriffenseins. Fast 800 Menschen draengen sich in der Aula der Muenchner Ludwig-Maximilians-Universitaet. Sie wollen der Gerechtigkeit fuer Serbien, die Peter Handke fordert, unmittelbar teilhaftig werden. Sie werden nicht enttaeuscht: Peter Handkes Stimme schwillt im wuetenden Crescendo, wenn es um jene internationale Rotte von Reportern geht, die mit kaeuflichem Halbwissen die Serben daemonisieren und dabei auf ihre Weise genauso arge Kriegshunde sind wie jene im Kampfgebiet. Schildert der Poet dagegen, wie ein gesitteter Serbe mit ueberaus behutsamen Haenden Benzin in den Tank eines Kraftfahrzeugs fuellt, dann versagt ihm vor lauter Empfindsamkeit das Sprechorgan. Am Ende spendet das Publikum lang anhaltenden, trotzig-befreiten Applaus. So geschehen an einem kalten Montag abend, am 4. Maerz 1996. Handkes winterliche Reise zu den Fluessen Elbe, Main, Isar und Donau war bisher ein voller Erfolg. Ueberall lauschte eine grosse Mehrheit der Zuhoerer ergriffen einem Text, den Dzevad Karahasan, bis 1993 in Sarajevo lebender Schriftsteller, einen der schaendlichsten Beitraege von ethischem Nihilismus in unserer Zeit nannte. Der seit Botho Strauss Bocksgesang spektakulaersten Feuilletonbataille um Dichtung und Wahrheit eines literarischen Pamphlets (SPIEGEL 3/1996 und 6/1996) folgte eine neuartige Form demonstrativer Lesung nach Art einer Springprozession. Was am 18. Februar auf der Buehne des Hamburger Thalia-Theaters begann, wird an diesem Montag im Akademietheater zu Wien fortgesetzt. Dann geht es nach Graz, Klagenfurt, Ljubljana, Salzburg, Leipzig, Heidelberg, Essen. Ende offen. Das Kunststueck, das dem Initiator, dem Frankfurter Suhrkamp-Verlag, bisher gelang, war die Durchsetzung eines Paradoxons: die Verhinderung eines oeffentlichen Streitgespraechs durch eine Podiumsdiskussion - und dies bei einem Text, der die Oeffentlichkeit extrem herausfordert; die liturgische Inszenierung einer weltlichen Polemik statt eines auch nur kritischen Zu-bedenken-Gebens (Handke). Kein Diskurs nirgends. Ausnahmslos publizistische fellow travellers der Handkeschen Streitschrift wider die Rotten der Fernfuchtler in den Weltmedienverbaenden durften als devote Stichwortgeber des diskussionsunwilligen Dichters fungieren, waehrend, wie im Frankfurter Schauspielhaus geschehen, vereinzelte Kritiker als Stoerenfriede gebrandmarkt wurden. Als Tilman Zuelch, Vorsitzender der Gesellschaft fuer bedrohte Voelker, wagte, das Wort Konzentrationslager in den Mund zu nehmen, stand ein Mann aus dem Publikum auf und rief Scheisse! Schon der blosse Lager-Begriff loeste einen Tumult aus. Die Semantik des Boesen hatte die Etikette der wahren Empfindung verletzt. Nicht das Geschehene, sondern seine Benennung wurde als Infamie empfunden. Eine neue Kultur aggressiven Ver- und Weg-Schweigens, die sich in einer vorpolitischen Weihestimmung verwirklicht, hat ihre Geburtsstunde erlebt. Was noch vor wenigen Jahren als Ideologie einer heilen Welt mit beissendem Hohn bedacht worden waere, ist zum esoterischen Beduerfnis vieler geworden: eine hart am Rande des Kitsches balancierende Existenzmetaphysik, die von der boesen Welt draussen nichts mehr wissen will und zugleich ein routiniertes Dissidententum pflegt. Besonders chic ist es da, gegen die Medien zu sein und so das eigene schlechte Gewissen zu entlasten - hat man nicht allzu penetrant geschwiegen angesichts des fuenfjaehrigen Mordens? Und wenn es schon nicht verhindert wurde, dann soll es wenigstens nicht gewesen sein. Ploetzlich werden die schrecklichen Bilder, die frueher Massendemonstrationen ausgeloest haetten, zum Teil der neubuergerlichen Selbstberuhigung: alles Luege, alles Videogame. So hat es den Anschein, als ob es auch die serbische Aggression gegen Bosnien-Herzegowina nie gegeben haette, die mehrjaehrige Belagerung und Zerstoerung von Sarajevo, keine Konzentrationslager, keine Massenvergewaltigungen, keine Massengraeber, kritisiert der Schriftsteller Josip Osti, einige Jahre enger Freund des Serbenfuehrers Karadzic. Handke folge derselben Logik, mit der ein Spaziergaenger durch das Amerika zur Zeit des Vietnamkrieges haette behaupten koennen, die USA haetten mit diesem Krieg nichts zu tun, alle Greueltaten seien nur Erfindungen der Medien. Doch des Dichters Logik ist auf verquere Weise ebenso reaktionaer wie radikal und unfassbar - und deshalb so attraktiv: Er wendet sich gegen die Wirklichkeit insgesamt. Nicht als Veraenderer, gar Revolutionaer, sondern als Leugner, Phantast und Scharlatan. Dabei wagt er sich von der Literatur aufs politische Terrain und begegnet jenen, die gerade den umgekehrten Weg gehen und Argumenten sowenig zugaenglich sind wie er. Ihr von der Politik zutiefst enttaeuschter, pseudokritischer Skeptizismus gegen die grossen Schrecklichkeiten (Handke) der Welt ist das Signum eines neuen Spiessertums: Weil man nicht mehr glauben kann (und will), was man sieht, glaubt man lieber dem Dichter, der zwar nichts gesehen, aber den weltgeschichtlichen Moment des behutsamen Benzineinfuellens fuer immer schoen gemacht hat. Wenn der Schamane spricht, laesst das diffuse Weltweh wenigstens fuer zwei Stunden nach. In den Zeiten der moralischen Unuebersichtlichkeit sorgt seine aesthetische Subjektivitaet, die sich ihre eigene Welt schafft, fuer Orientierung: Weltbild statt Wirklichkeit. Gemuetlichkeit kennt keine Grenzen. Hier haben weder die 2000 Granaten einen Platz, die am 6. Dezember 1991 auf Dubrovnik gefeuert wurden, wie ARD-Korrespondent Detlef Kleinert in Erinnerung ruft, noch jene Geschosse auf die Gebaerklinik von Sarajevo, in die der Tschetnik-Fuehrer Tintor, der sie abfeuerte, seinen Namen eingraviert hatte (Josip Osti). Weil nicht wahr sein kann, was in den armen Schaedel (Handke) des sensiblen Wandersmanns nicht hineinpasst, erfindet er Gegengeschichten, die nichts weiter sind als infantile Friedensidyllen aus der Niemandsbucht. Im Notfall, so schreibt Handkes slowenischer Uebersetzer Borut Trekman, leiht sich der Dichter schon mal eine elende Luege der bosnischen Serben aus, wonach die moerderischen Granatenanschlaege auf den Marktplatz von Sarajevo die Moslems selbst veruebt haetten. Die Wahrheit hat sich derweil laengst in prezioese Nuancen zurueckgezogen, in andersgelbe Nudelnester etwa oder den so erztrueben wie klarschmeckenden Eigenbauwein. Wenn man Rhabarber nachzuckert, wird er sauer, formulierte einst Kurt Tucholsky als Glaubenssatz Nummer VII der Bourgeoisie. Was man vom Fernsehen kennt, kennt man nicht, lautet Handkes Philisterweisheit, die jeden dichterisch unbelasteten Publizisten der Laecherlichkeit preisgeben wuerde. Doch der diskrete Charme der Naivitaet wird hier zum kuenstlerischen Alibi eines ganz individuellen Unwillens zur Wahrheit, der sein Publikum gefunden hat - Populismus de Luxe. Aus dem Publikumsbeschimpfer von einst wurde der Guru einer neuen antiintellektuellen Harmonieseligkeit. Angesichts hochkomplexer, buchstaeblich heilloser Verwicklungen schwoert er auf das bewaehrte Hausmittel einer Augenzeugenschaft, die zwar mit dem Ruecken zum Geschehen steht, doch durch die unverwechselbare Authentizitaet des bornierten Blicks veredelt wird. Der laesst sich durch keine Bemuehung um Objektivitaet irritieren - auch weil er sich selbst von vornherein mit autobiographischem Pathos inszeniert: Nie hat es mich gezogen, nach Bosnien zu gehen, antwortet Handke seinen Kritikern. Es ging mir nicht darum, die zerstoerten Orte zu sehen. Nein, und hier liegt das grosse Missverstaendnis, die Schraeglage der feuilletonistischen Erregung, ihm ging es nicht um die wirklichen Orte des Krieges, also auch nicht um den wirklichen Krieg der Taeter und der Opfer, weder um Wahrheit noch Moral. Es ging ihm bei diesem gescheiterten Versuch einer Widerlegung einzig um seine Selbstsetzung, um die Poesie seiner Abwesenheit. Kein Krieg nirgends und Handke ueberall. Auf dieses Projekt allerdings hat er sich gruendlich vorbereitet. Das Rezept: Nicht viel ferngesehen in den viereinhalb Kriegsjahren, wie er dem Stern-Reporter Gabriel Gruener anvertraute, nicht viel gelesen ausser in seinen Hassobjekten Le Monde und Frankfurter Allgemeine (gewiss nicht das 114seitige, erschuetternde Bosnien-Heft IV/1995 von Lettre International) und nicht mit anderen Leuten gesprochen, schon gar nicht mit Augenzeugen oder ausgewiesenen Kennern der Materie, nein: Eigentlich nur mit mir selber. Der ganze Text ist hauptsaechlich ein Zwiegespraech, das ich mit mir selber fuehre. Diese Groteske, auf die nahezu die gesamte europaeische Oeffentlichkeit hereingefallen ist, mag dem Dichter ewig verborgen bleiben. Vielleicht markiert sie gerade darum den Anfang vom Ende des Schriftstellers Peter Handke. Sein slowenischer Uebersetzer Borut Trekman, 53, unverdrossen der Weltliteratur wie der europaeischen Aufklaerung vertrauend, versucht es trotzdem noch einmal mit dem Dialog. Bildunterschriften: S.216 Protest bei Handke-Lesung in der Muenchner Universitaet: Eine neue Kultur vorpolitischer Weihestimmung FOTOS: J. OBERHEIDE / ARGUM S.217 Schriftsteller Handke*: Nie hat es mich gezogen, nach Bosnien zu gehen Fussnoten: * Am 4.Maerz in Muenchen. Autor: Reinhard Mohr Namen: Handke, Peter; Osti, Josip; Zuelch, Tilman; Karahasan, Dzevad; Kleinert, Detlef; Tucholsky, Kurt; Trekman, Borut Themen: Schriftsteller; Buergerkriege; Jugoslawien Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 96000120021600 |
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Der Spiegel Nr. 6 vom 05.02.1996 Seite 190 - 193 Autoren Dichters Winterreise Peter Handkes Serbien-Reportage und die Intellektuellen So stand es in der Zeitung: Gerechtigkeit fuer Serbien. Unter diesem schlichten und zugleich auftrumpfenden Titel veroeffentlichte der Schriftsteller Peter Handke, 53, im Januar in der Sueddeutschen Zeitung einen zweiteiligen Reisebericht. Unterzeile: Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina. Inzwischen liegt schon die Buchfassung vor - allerdings ist die Unterzeile zum Titel geworden*. Dem hoechstrichterlichen Anspruch des Handkeschen Auftritts wird das nachtraeglich kaum etwas nehmen. Laengst hat sich darueber eine heftige Debatte, nicht nur im Feuilleton, entzuendet, die den Rueckweg zur feinsinnigen Nuancierung versperrt. Daran konnte auch Handkes Zeit-Interview vorige Woche wenig aendern, in dem der Autor seinem Stichwortgeber allerlei haarstraeubende Erklaerungen und Invektiven hinwirft - und sich angesichts der ueberwiegend kritischen Resonanz auf seinen Ausflug ins Zwischenreich von Poesie und Politik voellig ueberrascht gibt: Er habe gedacht, dass man sich vielleicht nicht freuen, aber dass die Reaktion allgemein positiv sein wuerde. Nun fragt er sich: Wie kann man das nur so lesen? Gegenfrage: Wie naiv kann ein Schriftsteller im reifen Mannesalter sein? Auf 136 Druckseiten beschreibt Handke die Eindruecke, die er in Serbien, weitab vom Kriegsgeschehen, waehrend eines Aufenthaltes sammeln konnte. Er fixiert eine Fuelle von Impressionen (es gab einen so erztrueben wie klarschmeckenden Eigenbauwein) und serviert dem Leser immer wieder Reflexionen und Flueche auf bestimmte Presseorgane. Und ueber allem schwebt die rhetorische Frage: Wird die Geschichte der Zerschlagungskriege jetzt nicht vielleicht einmal ziemlich anders geschrieben werden als in den heutigen Voraus-Schuldzuweisungen? Deutlich genug wird, mehr zwischen als in den Zeilen: Handke bestreitet die serbische Kriegsschuld, auch den oft behaupteten Gewalttraum von ,Gross-Serbien. Dass der Bericht, den Handke daheim in Chaville, nahe bei Paris, in gut drei Wochen niedergeschrieben hat, viele provozieren und verstoeren wuerde, die sich vom Krieg auf dem Balkan ein ungefaehres Bild gemacht haben, duerfte einkalkuliert, ja beabsichtigt gewesen sein. Nur: Gibt es nicht Themen, die zu ernst fuer die blosse Lust an der Provokation sind? Nicht nur Journalisten haben den Aufsatz als ahnungslos verurteilt. Der oesterreichische Schriftsteller Milo Dor etwa, Sohn einer Belgrader Familie, ruegte, dass Handkes Augenschein wenig zur Klaerung der Situation auf dem Balkan beigetragen habe, weil er selbst nicht ausreichend informiert ist. Von den Verteidigern rechnen einige auffaellig lustvoll mit Handkes Kollegen Peter Schneider ab, der sich als einer der ersten Kritiker zur Serbien-Reportage geaeussert hat (SPIEGEL 3/1996). So war etwa in der Zeit die Anmerkung zu lesen, Handke behalte selbst dort, wo er irrt, noch recht gegen die trostlose Rechthaberei eines Peter Schneider. Aehnlich widerspruechlich-trotzig argumentiert nun auch Handke im Interview: Ich stelle nicht die Frage, was dort geschehen ist auf dem Markt von Sarajevo. Ich stelle die Frage: Was ist da wirklich passiert? Das ist tautologisches Fragegefuchtel, nur scheinbar am Wirklichen interessiert. Das Gespraech, gefuehrt von einem Journalisten, der sich zuvor - in der Tageszeitung - als peinlicher Lobredner empfohlen hatte (Wo bittschoen haette man in den letzten Jahren eine so gruendliche Medienkritik gelesen?), ist ein einziges Zurueckweichen vor der sachlichen Eroerterung, kaum je gestoert durch kritisches Nachfragen. Handke beschimpft seine Kritiker, ohne ihnen zu antworten - mal als debil (so ueber den Philosophen Andre Glucksmann), mal als durchgedreht (ueber den Filmregisseur Marcel Ophuls). Wer seinen Bericht nicht so liest, wie er ihn nun verstanden wissen moechte (Jede einzelne Beschreibung ist bestimmt von Schrecken, Kummer und Mitgefuehl), ist fuer ihn ein Lesetrottel, womoeglich von Altersirrsinn befallen. Oder noch einfacher: Diese Leute koennen keine Friedensleute sein. Merkt er nicht, dass das nur noch ein schrecklich hohles Getoese ist? Wie will Handke noch jemand von der Plausibilitaet seiner Medienkritik ueberzeugen, wenn er pauschal drei hoechst unterschiedliche Presseorgane (die Frankfurter Allgemeine, Le Monde und den SPIEGEL) als kriminell, ja auf andere Weise auch kriegsverbrecherisch bezeichnet - ohne sich die Muehe einer aufwendigen Analyse zu machen? Er habe sich beim Aufbruch zu dieser Reise wie in einem Western gefuehlt, erklaert Handke - als ginge es hier um ein Kinoerlebnis a la Der Raecher von Chaville. Ein Pamphlet sei nicht seine Absicht gewesen, sagt er - und wenig spaeter, der Text habe sicherlich auch Momente von einem Pamphlet. Das Interesse des Schriftstellers an Jugoslawien hat mit seiner Herkunft zu tun. Handke, geboren mitten im Zweiten Weltkrieg in Kaernten, hatte einen deutschen Vater und eine slowenische Mutter. Schon als junger Mann hat er sich Slowenien, das Land meiner Vorfahren, regelrecht erwandert. Und Slowenien gehoerte fuer ihn seit je zu dem grossen Jugoslawien, das suedlich der Karawanken begann und weit unten, zum Beispiel am Ohridsee bei den byzantinischen Kirchen und islamischen Moscheen vor Albanien oder in den makedonischen Ebenen vor Griechenland, endete. So schrieb er 1991, nachdem sich Slowenien selbstaendig gemacht hatte. Dass ihm jetzt mit seiner neuen Intervention derart viel Aufmerksamkeit erwiesen wird, zeigt vor allem zweierlei: zum einen die Achtung, die ein Schriftsteller vom Range Handkes immer noch geniesst (sowie die Bereitschaft, einem sensiblen Einzelgaenger wie ihm zunaechst einmal zuzuhoeren), zum anderen die stille Hoffnung, es koennten sich die Greuelnachrichten vom Krieg auf dem Balkan nachtraeglich doch noch als journalistische Uebertreibungen herausstellen, eine - vielleicht uneingestandene - Sehnsucht danach, nicht schon wieder mit Leichenbergen in diesem massenmoerderischen Jahrhundert konfrontiert zu werden. Dafuer spricht offenbar wenig. Das, was Handke jetzt im Interview ungluecklichsalopp als diese Geschichte von Srebrenica bezeichnet, die geklaert werden muesse, koennte sich nur zu bald als Teildrama im groessten Voelkermord auf europaeischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs erweisen. Und viele haben es - per Fernsehnachricht - kommen sehen und konnten es doch nicht verhindern. Diese Qual treibt gewiss manchen aus der Generation Handkes um, einer Generation, die doch so gern die eigenen Eltern wegen mangelnden Widerstands im Nazireich anklagte. Jenes Dritte Reich besuchte im Fruehjahr 1935 ein damals noch junger Schriftsteller aus der Schweiz: Max Frisch (1911 bis 1991). Die Neue Zuercher Zeitung veroeffentlichte den Reisebericht damals in vier Teilen. Titel: Kleines Tagebuch einer deutschen Reise. Ganz arglos war der Schweizer nicht. Er betrat den deutschen Boden immerhin mit einer merkwuerdigen Spannung, mit einem gewissen Bangen. Doch er wollte nur zu gern das geistige Deutschland, das ihm lieb war, im wirklichen und heutigen wiederfinden - kein ernster Deutschschweizer duerfe leichten Herzens das nachbarliche Land aufgeben, war seine Ueberzeugung. Frisch wollte seine dankbare Liebe zum deutschen Land ungern erschuettern lassen, dessen Kultur er seine grossen, lebensgestaltenden Eindruecke der Jugend verdanke. Der Reisende liess sich - darin ein Vorgaenger Handkes - von der Landschaft betoeren und dem vielen Schoenen, das ihm Freunde zeigten, er liess sich von einem Verleger und einem Buchhaendler beschwichtigen, die Deutschen zoegen die stille Literatur der Propaganda vor. Freilich uebersah er dann doch nicht die Auslage eines Buchladens, wo zwischen allerlei Kampfbuechern und erzaehlenden Werken drei blanke Dolche die Dekoration bildeten. Und er geriet - fuer seinen im ganzen erstaunlich milden Bericht die Rettung - in eine Berliner Ausstellung mit dem Titel Wunder des Lebens, wo die Juden derart verspottet wurden, dass es selbst dem gutwilligen Schweizer schwer wurde, ueber diesem dritten Reich das ewige Deutschland nicht zu vergessen. In den dreissiger Jahren war es unter europaeischen Schriftstellern, von Lion Feuchtwanger bis Romain Rolland, auch Mode, in die Sowjetunion zu fahren und sich per Augenschein (Handke) von den Errungenschaften des Kommunismus zu ueberzeugen - nur Andre Gide raeumte 1932 in seinem Tagebuch ein: Ich fuehle uebrigens immer staerker meine Inkompetenz, je mehr ich mich mit diesen politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Fragen befasse. Sind Handke solche Zweifel fremd? Immerhin fragt sich der Ich-Erzaehler in seinem Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), warum er stets wieder vom Pfad politischer Enthaltsamkeit abweiche und in eine todfalsche Mitte ziele, als Artikelschreiber, der sich einbildete, wie einst Emile Zola Geschichte machen zu koennen. Handke hat immer schon zwei Gesichter gehabt: hier der in Buecherwelten und Landschaften versunkene Gruebler und Beobachter, dort der Rebell und Amoklaeufer. Von seinem ersten medienwirksamen Auftritt auf der Tagung der Gruppe 47 im Jahr 1966 ueber seine Attacke gegen die politisch engagierte Literatur generell bis hin zur oeffentlichen Verteidigung der in Verruf geratenen Zeitschrift Super Illu des Verlegers Hubert Burda, eines alten Freundes: Handke war immer fuer eine Ueberraschung gut. Manchmal war er allen eine Nasenlaenge voraus, manchmal lag er auch bloss schrecklich daneben. Seine Winterliche Reise durch Serbien vermittelt den Eindruck des vorlaeufig Formulierten - so als ob Handke es aufgegeben haette, dem Mix aus Polemik und Einfuehlung eine endgueltige Form zu geben. Abgesehen einmal vom politischen Streitwert - der Text ist auch als Erzaehlung, als Beschreibung einer Reise durch Serbien und den Kopf des Reisenden eine Enttaeuschung. Handke hat sich mehr verdorben als nur einen Auftritt. Seine poetische Sprechweise, die Suchbewegung seiner Schriftsteller-Figuren aus vielen wunderbaren Prosawerken, auch seine erzaehlerischen Unbeholfenheiten, die nicht selten den Reiz des Sproeden und absichtsvoll Unfertigen haben - dies hat er, in ungeschuetzte Rhetorik umgemuenzt, an eine Allmachtphantasie verraten: als koenne er, der genaue Beobachter, auf seine dichterisch-seherische Weise die Welt draussen besser erkunden als alle profanen Faktenhuber zusammen. Eine Neuigkeit enthuellt Peter Handke im Zeit-Gespraech schliesslich doch noch, eine Information, die dem Leser der Reportage vorenthalten wird: Auf der serbischen Winterreise begleitete ihn seine frisch angetraute Ehefrau. Die Fahrt nach Serbien war, auch wenn es absurd klingt, unsere Hochzeitsreise. Liebe macht eben doch blind. Y Weiss der Dichter mehr als alle profanen Faktenhuber? Bildunterschriften: S.190 Schriftsteller Handke: In die todfalsche Mitte gezielt I.OHLBAUM Schriftsteller Frisch (1933) ETH / ZUeRICH Fussnoten: * Peter Handke: Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien.Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main; 136 Seiten; 24,80 Mark. Namen: Handke, Peter; Frisch, Max; Gide, Andre Themen: Buchtitel; Schriftsteller; Buergerkriege; Jugoslawien Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 96000060019000 |
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Der Spiegel Nr. 3 vom 15.01.1996 Seite 163 Die Frage nach der Schuld wird auch dann nicht verstummen, wenn der Friede in Bosnien halten sollte. In einem zweiteiligen Beitrag fuer die Sueddeutsche Zeitung hat der bei Paris lebende Schriftsteller Peter Handke (Mein Jahr in der Niemandsbucht) nun ueberraschend Gerechtigkeit fuer Serbien gefordert. Fuer Handke, 53, der im November 1995 durch Serbien reiste, sind in der Berichterstattung ueber den Krieg allzu schnell die Rollen des Angreifers und des Angegriffenen festgelegt worden. Sein Kollege Peter Schneider (Paarungen), 55, von Handke als kriegsbildverknallt attackiert, antwortet nun im SPIEGEL. Es sei bedrueckend, dass Handke den Bosniern ausgerechnet als Interpret ihrer Belagerer entgegentrete. Bildunterschriften: S.163 Handke, Schneider S.163 TEUTOPRESS Themen: Buergerkriege; Jugoslawien; Literatur Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 96000030016302 |
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Der Spiegel Nr. 3 vom 15.01.1996 Seite 163 - 165 Polemik Der Ritt ueber den Balkan Peter Schneider gegen die Parteinahme Peter Handkes fuer die Serben Natuerlich darf man sich den nicht ganz wahrscheinlichen Fall wuenschen und hoffen, es bleibe nicht beim Versprechen: dass am ersten Ruhetag nach dem jahrelangen Morden im ehemaligen Jugoslawien, auf dessen Bilder die Europaeer Abend fuer Abend in gebannter Laehmung und mit undeutlichem Schuldbewusstsein starrten, einer daherkaeme, ein unerschrockener, in der Bilderflut noch nicht Ertrunkener, ein Ritter des genauen Wortes, der dem Rest der Bildglaeubigen erklaerte: Der Krieg, den euch die Medien angeblich abgebildet haben, hat so nur auf eurer Netzhaut stattgefunden, ihr seid Opfer einer gigantischen Verabredung zum Nachteil der Serben, einer weltweiten Journalistenverschwoerung. Habt ihr nie gemerkt, wie mediengerecht die Gemarterten und Vergewaltigten ins Objektiv des Fotoreporters blicken, seht ihr sie nicht mit, die Anweisungen des Bildverkaeufers im Close-up der weinenden Frau? Wie gehorsam sie sich an den Draht des Lagerzauns klammert? Ich zeige euch die Wirklichkeit hinter den Verspiegelungen, ich fuehre euch hinter den Spiegel der Medien, kommt mit! Das Versprechen einer kopernikanischen Umdeutung des Krieges im ehemaligen Jugoslawien darf der Aufmerksamkeit sicher sein. Endlich einer, der aus dem Fernsehsessel aufsteht und sich mit nichts als dem blanken Auge bewaffnet gegen die riesige Uebermacht der elektronisch hochgeruesteten Kameraaugen auf den Weg macht, auf nichts denn auf Augenzeugenschaft vertrauend - einer gegen den Rest der Welt! Und nebenbei: Welche Erleichterung, sollte er sein Versprechen einloesen! Alle, die sich von den quaelenden Bildern eines Voelkermordes, den die Medien zuletzt taeglich in die Schlafzimmer strahlten, durch Wegzappen befreiten, waeren - zu ihrem eigenen Erstaunen - nachtraeglich als Weise erkannt. Eines allerdings wird der Leser von einem solchen Umkehrer der Blickrichtung erwarten: dass er den in Druckerschwaerze und Pixel verbreiteten Kriegsbildern selbst Angeschautes oder Recherchiertes entgegenstelle, dass er eine von den Reportern unterschlagene, bisher nicht berichtete Wirklichkeit enthuelle. Auf acht randvollen Seiten der Sueddeutschen Zeitung hat Peter Handke einen solchen Versuch vorgelegt. Das Erstaunliche, kaum zu Fassende ist: Es gibt keine einzige gezielte Widerlegung irgendeiner Mediengeschichte, kein einziges recherchiertes oder nur zitiertes Indiz auf noch nie benannte Kriegsverbrechen der anderen Seite, kein einziges neues Faktum. In weiten Teilen dieser Intervention liest man nichts als Meinung: Insinuationen, Wutausbrueche gegen die neuen Philosophen, gegen das verdeckt demagogische Schnueffelblatt Le Monde, gegen die sogenannte Weltoeffentlichkeit, gegen die Auslandsreporterhorde, gegen den augen- und nuancenlos schreibenden Joseph Brodsky und, er darf nicht fehlen, gegen den feind- und kriegsbildverknallten Peter Schneider - dies in einer beweisarmen, dafuer adjektivseligen Sprache, die, das erlaube ich mir als Mitgemeinter hinzuzufuegen, unter den sonstigen Gaben des Autors vor allem einen beachtlichen Killerinstinkt zur Entfaltung kommen laesst. Im ruhig fliessenden, langen Rest des Textes finde ich Bilder einer Reise durch Serbien; Landschafts- und Menschenbeschreibungen von grosser Wahrnehmungsdichte und fremder Schoenheit, in denen freilich, vermutlich mit Bedacht, eines nicht vorkommt: der kaum beruhigte, laengst noch nicht ausgegluehte Krieg. Man koennte diesen Bericht auch vor fuenf Jahren geschrieben haben oder ihn in fuenf Jahren schreiben. Man kann darueber streiten, ob sich das Bild eines Krieges kraft der persoenlichen Anschauung und Erfahrung eines Schriftstellers veraendern laesst. Korrigieren oder erweitern laesst es sich sicher. Ebenso sicher ist, dass Peter Handkes Verfahren in diesem Text spektakulaer scheitert. Wer sich vornimmt, die Frage nach der Kriegsschuld, den Kriegsverbrechen und den Taetern neu zu beantworten, laedt sich, ob er will oder nicht, eine Beweislast auf. Wer insinuiert, dass die Bilder eines serbischen Gefangenenlagers (von welchem?) gestellt sind, wer den Verdacht aeussert, dass das Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag einseitig Serben anklagt und kroatische und moslemische Schlaechter (welche?) ausspart, kommt mit blossen Andeutungen und Verdaechtigungen nicht aus. Er muss Fakten nennen. Er kann sich nicht damit begnuegen, dem Gewerbe des Reporters und des Historikers in vermeintlicher Ueberlegenheit ueber die Schulter zu schauen. Mit dem aesthetischen Ekel vor der Monotonie journalistischer Fertigteile wie dem vom beruechtigten Banditen und Kriegskiller Arkan ist es nicht getan. (Ist Arkan einer der wahrscheinlich schlimmsten Schlaechter und Menschenschinder des Krieges im Balkan oder nicht?) Auch die Apostrophierungen von Josef Mengele als Todesengel von Auschwitz oder von Saddam Hussein als Kurdenschlaechter waren nicht sonderlich originell und bar jeder sprachlichen Brillanz. Durch Sprachkritik war jedoch die Frage, ob die so unbegabt Beschuldigten der ihnen zur Last gelegten Verbrechen tatsaechlich schuldig waren, nicht zu entscheiden. Peter Handkes Vorhaben, jetzt, da alle Welt von der Kriegsschuld und den Menschenrechtsverbrechen der serbischen Kriegsfuehrer ueberzeugt ist, Gerechtigkeit fuer die Serben einzuklagen, verlangt Mut. Schon zu Beginn des Krieges hat er - mutig und damals fast solo - gegen den Chor der Deutschen angeschrieben, als sie unter dem Taktstock Genschers die voelkerrechtliche Anerkennung Kroatiens vorantrieben, das es als Unabhaengigen Staat Kroatien schon einmal gab und in dem damals die Ustascha an der Seite der Nazi-Deutschen einen Genozid an den Serben organisiert hat. Voellig zu Recht malt Handke auch aus, was fuer eine eigentlich nicht hinnehmbare Zumutung die vorschnell legitimierte Zerstueckelung des ehemaligen Tito-Staates fuer die in den Reststaaten lebenden Serben bedeutete. Aber schon, wenn Peter Handke fragt: Wer war der erste Aggressor? . . . War derjenige, der einen Krieg provozierte, derselbe wie der, der ihn anfing?, wird es auf falsche Weise raetselhaft. Wenn ich nicht irre, ist der Aggressor derjenige, der zur Loesung eines erfundenen oder tatsaechlichen Konflikts als erster zu den Waffen greift und ihn dann zur gewaltsamen Vertreibung des Gegners und zur Gebietserweiterung missbraucht. Bekanntlich haben fast alle Aggressoren der Geschichte, nicht zuletzt Adolf Hitler, angeblich nur auf eine Provokation reagiert. Ginge es nach Peter Handkes Logik, dann waere das heutige Tschechien legitimiert gewesen, die sich abloesende Slowakei in das alte Staatsgebilde mit Gewalt zurueckzuholen. Russland haette jedes Recht der Welt, dem abtruennigen Tschetschenien oder Litauen seinen Willen mit Panzern aufzuzwingen. Kanada duerfte Krieg gegen Quebec fuehren, die Bundesdeutschen duerften gegen Bayern marschieren, sollten die sich denn endlich aufraffen und ihr Land zum Unabhaengigen Koenigreich Bayern erklaeren. Unzweifelhaft haben zwar nicht die Serben, aber ihre derzeitigen, immer noch nicht gestuerzten Fuehrer und viele ihrer Intellektuellen die Idee eines ethnisch sauberen Grossserbien bereits in den achtziger Jahren gepflegt und im Namen dieser Idee als erste zu den Waffen gegriffen, als Kroatien sie durch den Abloesungsbeschluss provozierte. Ebenso unzweifelhaft haben sich wiederum nicht die Kroaten, aber Tudjman und seine Leute einer aehnlichen Un-Idee zur Erschaffung eines Grosskroatien verschrieben. Die historische Dummheit von Handkes Intervention besteht darin, dass er in seinem ueberschaeumenden, sich heilig waehnenden Zorn gegen die internationale Journalistenverschwoerung wieder nur von den Serben spricht und die Verbrechen ihrer chauvinistischen Kriegsherren und Milizen kleinredet. Allzu schnell, so beklagt er, waren fuer die sogenannte Weltoeffentlichkeit auch in diesem Krieg - in welchem noch? - die Rollen des Angreifers und des Angegriffenen, der reinen Opfer und der nackten Boesewichte, festgelegt und fixgeschrieben worden. Solange man den Blick auf die serbischen und kroatischen Integralisten beschraenkt, mag das Argument hingehen. Aber es faellt auf, dass Peter Handke nie oder nur abtuend von den tatsaechlichen Opfern spricht. Dabei waren doch die bosnischen Moslems - ich erbitte Gegenbeweise! - die einzige von bosnischen Serben und dann auch Kroaten ueberfallene Kriegspartei, die nie einen Anspruch auf ethnische Reinheit und auf Gebietserweiterung angemeldet und kriegerisch verfolgt hat. Die auf besonders bestialische Weise gefolterten und geschlachteten Opfer des serbischen Reinheitswahns waren jene serbischen Blutsbrueder, die in den Doerfern und Staedten Bosniens zu ihren angetrauten, befreundeten oder nur bekannten moslemischen oder kroatischen Verwandten und Nachbarn hielten. Ueber diese serbischen Opfer verliert Peter Handke bei seiner Verteidigung kein Wort, er konnte sie oder ihre Verwandten auf der von ihm gewaehlten Reiseroute wohl auch schwerlich treffen. Im uebrigen hat es sich fuer die Europaeer nie darum gehandelt, sich zwischen den Serben, den Kroaten und den Moslems zu entscheiden. Die weitaus meisten, zielstrebig vertriebenen, vergewaltigten und ermordeten Opfer des ethnischen Reinheitswahns sind die Zivilisten auf allen Seiten. Und es ist wahr: Auch moslemische Milizen haben Massaker an Zivilisten zu verantworten. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hoert nicht auf die saubere Unterscheidung zwischen Gut und Boese, wohl aber auf die zwischen verbrecherischen Aggressoren und angegriffenen Opfern, die dann in der Reaktion und Gegenwehr ebenfalls Verbrechen begehen. Wem diese Unterscheidung nicht sauber genug ist, wer sich fuer die Initiative zu den ethnisch motivierten Untaten, fuer ihre Zahl und ihre politische Zielrichtung nicht interessiert, der braucht, um eine von Peter Handke strapazierte Drohung zu zitieren, hier gar nicht erst weiterzulesen. Ueberhaupt ist die Unterstellung nicht zu halten, der Westen und die westliche Berichterstattung habe die Serben von Anfang an zu Suendenknaben erkoren und einseitig Partei ergriffen. Die britischen und franzoesischen Generaele der Unprofor-Truppen haben - spaetestens nach dem Vorpreschen der Deutschen fuer ihre traditionellen kroatischen Freunde - die ihnen historisch verbundenen Serben ueber zahllose vertragswidrige Angriffshandlungen hinweg gewaehren lassen. Die einzigen, die zunaechst ueberhaupt keine Lobby hatten, sind die Moslems gewesen. Die Position, die Handke in der Pose des einsamen Kaempfers gegen die Weltmeinung als seine ausbreitet: Er habe nicht einfach Partei ergreifen, geschweige denn verurteilen koennen, weil er den fixen Schuldzuweisungen misstraute! - das war bis vor kurzem der grauenvolle, an jedem Kneipentisch zu hoerende, europaeische Konsens: Alle sind gleich schuldig, dort unten (oder hinten) tobt ein Buergerkrieg, in den wir uns nicht einmischen duerfen. Eben diese europaweit dominierende Haltung hat ja als Ausrede dafuer herhalten muessen, dass die Europaeer trotz eindeutiger Schutzgarantien allen Greueltaten bis hin zum - von wem eigentlich veruebten? - Massaker in Srebrenica haenderingend und tatenlos zusahen. Und was die Intellektuellen angeht, so gab es in all den vier Jahren kaum eine deutsche Stimme von Gewicht, die Partei ergriffen haette. Der Versuch des Literarischen Colloquiums in Berlin, fuer Guenter Grass und andere Schriftsteller im Herbst 1994 einen Besuch in Sarajevo zu organisieren, scheiterte daran, dass niemand garantieren konnte, die Gaeste wuerden zum vorgesehenen Zeitpunkt aus dem verfluchten Ort zurueckfliegen koennen - ein Absagegrund, der trotz wortgetreuer Uebersetzung den wartenden Gastgebern in Sarajevo nie ganz verstaendlich geworden ist. Ich bin von bosnischen Kollegen immer wieder gefragt worden, warum bisher keiner der beruehmten, im ehemaligen Jugoslawien publizierten deutschen Autoren wie Grass, Heiner Mueller oder Christa Wolf seine Stimme erhoben habe, und ich habe nicht viel Eindruck gemacht mit der paraten Antwort, niemand koenne einem Schriftsteller vorschreiben, wann und wozu er sich aeussern solle. Um so bedrueckender scheint es mir, dass jetzt der erste weithin hoerbare Autor deutscher Zunge den Bosniern ausgerechnet als Interpret ihrer Belagerer entgegentritt. Ich werfe Handke nicht vor, dass er um Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsbereitschaft gegenueber den Serben wirbt. Wo sein Text ohne das Auftrumpfen des heroisch Einzigen, noch nicht Verhetzten auskommt, wo dieser Text auf Landschaften und Leute des Kainsvolks neugierig macht, entfaltet er eine versoehnende, im eigentlichen Wortsinn friedenstiftende Kraft. Freilich ruiniert Handke sein Projekt, weil er es auf eine hasserfuellte, voellig haltlose Rundum-Verdaechtigung aller Anklaeger der serbischen Raub- und Vernichtungsaktionen gruenden zu muessen glaubt. Zunaechst beklagt er, dass es kaum Kriegsopferbilder von den Serben gab - was zur Not stimmt, aber eben auch damit zu tun hat, dass Belgrad (anders als Zagreb) jenen Journalisten, die wahrheitsgemaess ueber serbische Untaten berichtet hatten, kein Visum mehr erteilte - und wenn es solche Bilder, faehrt Handke fort, tatsaechlich gab, wie etwa bei der Vertreibung der Serben aus der Krajina, dann sei dazusuggeriert worden, ,dieselben haetten ja zuvor ein anderes Volk vertrieben. Wieso suggeriert? Haben Krajina-Serben vier Jahre zuvor ueber 100 000 dort ebenfalls einheimische Kroaten vertrieben oder nicht? Muss man die erste Vertreibung vergessen, um fuer die Anklage der zweiten genug Luft zu haben? Tatsaechlich erkenne ich in den meisten seiner kokett als Parasitenfragen apostrophierten Fragen nur ein Versteck fuer nicht belegte, meistens laengst von anderen - von Journalisten! Uno-Beauftragten! - untersuchte und widerlegte Behauptungen. Ist die alte wunderbare Stadtschuessel (Dubrovniks) . . . damals im Fruehwinter 1991 tatsaechlich gebombt und zerschossen worden? Oder nur - arg genug - episodisch beschossen? Was, bitte, ist eine episodische Beschiessung? Und wenn sie denn, wie Handke insinuiert, eigentlich nur Objekten ausserhalb der dicken Stadtmauern galt? - mit welchem Recht diesen? Mit dem Recht der Provozierten? Ohne irgendeinen neuen Hinweis legt er denn auch die schon seinerzeit kaum ertraegliche, von Experten der Unprofor-Truppen gestellte und negativ beschiedene Frage wieder auf, ob es nicht doch die Moslems selber waren, die das Blutbad auf dem Markt von Sarajevo angerichtet haben. Vollends unertraeglich wird Handkes sich neugierig nur gerierende Fundamental-Skepsis, wenn er, vom eigenen Mut zur Tabu-Verletzung sichtlich erschuettert und hinweggetragen, den von den Medien ins Bild geholten Opfern ethnischer Vertreibungen auf den Leib rueckt. Sie haetten, von den internationalen Belichtern und Berichtern . . . angeleitet, gelenkt und herbeigewinkt (,He, Partner!) sichtlich wie gefuegig die fremdgewuenschten Martermienen eingenommen. Und: Wohl wirklich leidend, wurden sie gezeigt in einer Leidenspose. Lese ich richtig: Wohl wirklich leidend? Zu so einer Niedertracht darf man sich nicht einmal vom edlen Hass auf die Medien treiben lassen! Statt den Folterern und Killern gilt Handkes Wut den Berichterstattern ueber solche Verbrechen und am Ende auch den Opfern. Wohl wirklich unter den Kriegsbildern leidend, verdaechtigt er die Ueberbringer der Bilder als Faelscher und die Gemarterten als mediengeile Simulanten. Ueberhaupt kann ich mit Handkes pauschaler Verachtung der Journalisten wenig anfangen. Die internationale Brigade der Journalisten, die ich in Sarajevo kennenlernte, hat mehr fuer die Ermittlung der Wahrheit im sogenannten Buergerkrieg auf dem Balkan getan als alle Schriftsteller zusammengenommen. Die Reportage einer britischen Journalistin ueber das von bosnischen Serben betriebene Todeslager in Omarska hat bewirkt, dass dieses Lager geschlossen wurde. Die grosse Mehrzahl der Journalisten vor Ort ist nicht aus Boeswilligkeit und nicht von Anfang an, sondern, ebenso wie der Uno-Beauftragte Tadeusz Mazowiecki, durch genaue Recherchen und durch ein ueberwaeltigendes Beweismaterial zu der Ueberzeugung gelangt, dass die meisten Greueltaten von serbischen Einheiten begangen worden sind. 43 Mitglieder der von Handke als Horde verhoehnten Zunft, darunter ein Reporter der Sueddeutschen Zeitung, haben ihre Mission mit dem Leben bezahlt. Das Lebensrisiko der Journalisten ist um einige hundert Prozent hoeher als das der Uno- oder Nato-Soldaten und um einige tausend Prozent hoeher als das von Schriftstellern, die in Serbien reisen. Das ist selbstverstaendlich kein Argument gegen die von Handke gewaehlte Reiseroute - wohl aber ein Aufruf zur Fairness. Handke hat einen anderen Radius des Schauens gewaehlt als damals ich, vor zwei Jahren in Sarajevo. Aber wenn es in seinem Reise- und Wanderungsbericht keine zerschossenen Fassaden gibt, keine ausgebrannten Haeuser, keine Kinder, Frauen, jungen und alten Maenner mit abgeschossenen und umwickelten Gliedern, wenn es bei seinen Begegnungen zwar hin und wieder an der Heizung fehlt, nicht aber an Licht und Wasser, auch nicht an Brot und Wein, nicht an den walddunklen massigen Honigtoepfen, den truthahngrossen Suppenhuehnern, den andersgelben Nudelnestern, so ist das nicht nur damit zu erklaeren, dass Handke den Krieg, um sich mit den Journalisten nicht gemein zu machen, wahrscheinlich absichtlich ausblendet. Die Abwesenheit des Krieges und der Kriegsfolgen in diesem Text hat auch einen externen, vom Autor nicht benannten Grund: Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hat in Serbien keine Fensterscheibe zu Bruch gehen lassen. Peter Handke hat, immer nur seinen Augen trauend, das friedliche Leben in einem Land beschrieben, dessen Kriegsherren ihren Saeuberungs- und Eroberungskrieg - sicher gegen den Willen jener vielen, ganz und gar unkriegerischen Serben, die Handke eindruecklich beschreibt, dennoch auch in ihrem Namen - jenseits der Grenzen dieses Landes fuehren konnten. Y Bildunterschriften: S.165 Kriegsopfer in Sarajevo (1992): Wohl wirklich leidend BEAUDENON / SIPA Namen: Schneider, Peter; Handke, Peter Themen: Buergerkriege; Literatur; Jugoslawien Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 96000030016301 |
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Der Spiegel Nr. 49 vom 05.12.1994 Seite 170 - 176 SPIEGEL-Gespraech GELASSEN WAeR ICH GERN Der Schriftsteller Peter Handke ueber sein neues Werk, ueber Sprache, Politik und Erotik SPIEGEL: Herr Handke, Ihr neues Buch Mein Jahr in der Niemandsbucht umfasst 1072 Seiten. Lesen Sie selbst gern so dicke Buecher? Handke: Es gab eine Zeit, als ich die sehr gern gelesen habe, Stifters Nachsommer, Musils Mann ohne Eigenschaften, Goethes Wahlverwandtschaften. Dann nicht mehr. SPIEGEL: Wie sind Sie dennoch in den Klub der Waelzer-Autoren geraten? Handke: Ich wollte es einmal schaffen, mit dem Schreiben die vier Jahreszeiten durchzukommen. Das Schreiben der Buecher davor hat jeweils hoechstens zwei Jahreszeiten gedauert. SPIEGEL: Nun waren es vier? (Das Gespraech fuehrten die ) (SPIEGEL-Redakteure Volker Hage und ) (Mathias Schreiber. ) Handke: Ja, genau vom 11. Januar bis zum 18. Dezember 1993. Mit den drei Korrekturgaengen fing dann eine neue Zeit an, eine Zeit zwischen Panik, Schwermut und Erleichterung: sieben Wochen, drei Wochen und drei Tage. SPIEGEL: Fuehlen Sie sich jetzt leer? Handke: Das hat mich mein Verleger auch gefragt, als er mir das Buch ueberreichte. Ich fuehle mich unruhig, nervoes - und gleichzeitig guter Dinge. Das Schreiben fehlt mir nicht. SPIEGEL: Ihr Buch ist bisher mit wenigen Ausnahmen sehr positiv aufgenommen worden, in der neuen Bestenliste des Suedwestfunks steht es auf Platz 1. Das koennte bedeuten: Die Epoche, in der Literatur stets sachlich, ehrlich, aufklaererisch oder politisch zu sein hatte, geht zu Ende. Handke: Ja, wir sind in einer chancenreichen Situation. Wir koennen wirklich loslegen, von neuem - nicht postmodern, aber im Sinne einer neuen Moderne. Wir haben die Chance, ohne all diese Ideologien universell zu werden. SPIEGEL: Genauer bitte. Handke: Punkt, Punkt, Punkt. SPIEGEL: Was veraendert sich fuer Sie durch das Ende der grossen ideologischen Konfrontation? Handke: Wir koennen erst einmal erleichtert sein, dass die kommunistische Utopie auf diese Weise auseinandergefallen ist. Vorlaeufig erleichtert. Ich war ja nie ein 68er. Ich war schon sehr frueh das Feindbild der 68er. SPIEGEL: Wie heute Botho Strauss? Handke: Man kann doch froh sein, dass die Linke endlich den Mund haelt. Und daher finde ich es entsetzlich, wenn der sonst so subtile Botho Strauss jetzt mit den Rechten kommt. SPIEGEL: Strauss sieht den Schriftsteller als Gegenfigur zum linken Aufklaerer: Ist Ihnen das so fremd? Handke: Weiss der Teufel, was der Schriftsteller ist. Ich moechte auch gar nicht wissen, was der ist. Jedenfalls ist er kein Rechter. Und auch kein Konservativer. Der Schriftsteller ist alles: konservativ und anarchistisch, ein Mensch der Formen und des Unfoermigen. Noch schoener: wenn er nichts ist. SPIEGEL: Laesst sich das durchhalten? Irgendwann ist die begriffliche Einordnung politischen Handelns . . . Handke: . . . es waere doch schoen, wenn endlich eine belebte Ruhe herrschen koennte: Freiheit von diesen Begriffen. Nicht schon wieder alles zusperren. Das ist eine deutsche Krankheit, eine Suende. SPIEGEL: Bleibt jenseits aller Ideologien mehr uebrig als Kommerz und Konsum? Handke: Ich habe keine Gegen-Idee. Aber ich teile diesen Pessimismus nicht. Solange der Tag Tag wird, ist noch etwas da. SPIEGEL: Sie brechen eben immer gern auf. Dazu braucht man Optimismus. Handke: In den letzten zehn Jahren waren meine Aufbrueche durch Wiederholungen bestimmt. Ich habe mir gesagt, ich gehe noch einmal dahin, wo ich einmal etwas gesehen habe. Ich habe Varianten gesucht. SPIEGEL: Dasselbe variieren: Am Ende wird man dabei haeuslich - wie Sie jetzt hier in dieser schoenen Villa. Handke: Ich bin doch nicht heimisch geworden. Sind Sie wahnsinnig! Ich werde nirgendwo heimisch sein. Ich bin auch nicht heimatlos. Ich bin hier am Platz - in meiner irgendwann geschehenen Trennung von dem, was man Welt nennt. Diese Trennung passierte mir im Internat: beilhiebartig. Vielleicht kommt sie auch aus den Angstwochen nach dem Krieg und aus jenen zwoelf Jahren, als ich staatenlos war. Wenn ich heute - zwei-, dreimal im Jahr - in meine oesterreichische Geburtsheimat reise, komme ich mir ansaessiger vor als die meisten Leute, die dort geblieben sind. Die dort Gebliebenen sind sozusagen im Exil - lauter Entwurzelte: so ist unsere Welt. Im uebrigen hat mir gut gefallen, was ein oesterreichischer Kritiker ueber die Niemandsbucht schrieb: Sie sei eine Heimatgeschichte aus der Fremde. SPIEGEL: Wuerden Sie sich niemals hier in Chaville zum Buergermeister waehlen lassen? Handke: Ich haett gern, dass die Frau, mit der ich bin, Buergermeister wird - damit hier endlich etwas passiert. Chaville ist die Gemeinde, in der die Kommunikation unter den Buergern, verglichen mit den anderen Pariser Vorstaedten, am schlechtesten funktioniert. SPIEGEL: Der ideale Ort fuer einen Autor, der aus der Welt gefallen ist. Handke: Ja, ich fuehle mich hier deswegen besonders wohl. Hier sind alle Einzelgaenger - Gestoerte, Fluechtlinge, in sich verhakte Heimgaertner. Ich kenne kaum jemanden persoenlich. SPIEGEL: Einmal schreiben Sie von einem jungen Schriftsteller, der in einer leeren Saline eine Frau begehrt, am Ende aber nur ein Buch findet. Sieht so Ihr Verhaeltnis zu den Menschen aus? Handke: Da beschreibe ich bloss, wie es zur Literatur kommen kann. SPIEGEL: Sie vergleichen das Schreiben mit dem roemischen Recht. Heisst das: Literatur muss gerecht sein? Handke: Ich frage mich da, was die abstrahierende Rechtssprache mir in der Jugend gebracht hat. Sie holte mich heraus aus den expressionistisch-stimmungshaften Sprachbewegungen. SPIEGEL: Die Bedienung, mehrzaehlig, war waehrenddessen nicht von ihm gewichen. Klingt nach Gerichtsprotokoll. Handke: Voellig richtig. Schlimm waere, wenn das ein ganzes Buch fuellen wuerde. Bleib sachlich - das habe ich mir immer wieder gesagt beim Schreiben. So entstehen solche juristischen Saetze. SPIEGEL: Sie diskutieren erzaehlend oft mit sich selbst. Warum dann keine offenen Dialoge zwischen Personen? Handke: Im ersten Entwurf hatte ich viele Dialoge. Ich habe sie spaeter wieder aufgeloest. Der Stilbruch war zu stark. Ich wollte, dass es in einem Ton - in einer Tonlosigkeit durchgeht. Ich habe ja keinen Ton. Ich bin ein lyrischer Erzaehler. Das ist auch mein Problem. SPIEGEL: Inwiefern? Handke: Weil es zum Ueberschwang verfuehrt, zur Unpraezision, zur Gefuehlsduselei, nicht durch Sprache beglaubigt. SPIEGEL: Sie fuehren Tagebuch. Gehen diese Notizen dann relativ unvermittelt in Ihre literarischen Arbeiten ein? Handke: Ich trenne das. Das Tagebuch ist keine Leistung. Natuerlich ist es wichtig. Wuerde das Haus hier brennen, dann wuerde ich als erstes die Lebewesen hinauszuschaffen versuchen - danach aber, noch vor den Bildern, mein Tagebuch. SPIEGEL: Sind Ihre Tagebuecher den Skizzen eines Malers vergleichbar, aus denen dann die Bilder werden? Handke: Nein, das war mal so. Fuer die Niemandsbucht-Geschichte hatte ich einen Haufen Notizen, hatte mir aber vorgenommen, beim Schreiben nie hineinzuschauen. Das ist mir gelungen. SPIEGEL: Sie haben also Ihr Buch praktisch zweimal geschrieben. Sie erzaehlen in der Niemandsbucht auch die Entstehung eben dieses Werkes. Interessiert das eine breitere Leserschaft? Handke: Dass einer ueber das Schreiben schreibt, klingt sehr langweilig. Aber mir scheint, auch die Abenteuer des Schreibens sind spannend. Jeder erzaehlt doch gern, wie seine Abenteuer mit dem sind, was er macht. SPIEGEL: Sie sind oesterreichischer Staatsbuerger, haben in Frankreich eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung - dennoch denken Sie in Ihrem Buch ueber Deutschland nach. Handke: Ich haenge an Deutschland. Nicht nur, weil mein Vater Deutscher war. Ich haenge an dem Land, an der Landschaft. Waehrend meiner Lesereisen habe ich ein Gefuehl fuer die Morphologie dieses Landes bekommen, und ich frage mich heute noch, wenn ich das vor mir sehe: Wie konnten diese Verbrechen gerade dort passieren? SPIEGEL: In Ihrem Buch, das 1997 spielt, hat Deutschland gerade einen Buergerkrieg hinter sich. Halten Sie so etwas im Ernst fuer moeglich? Handke: Ich habe das getraeumt. Bei den Korrekturen habe ich davon viel gestrichen. SPIEGEL: Warum? Handke: Es war zu frivol, es waere beinahe eine Schweinerei geworden. SPIEGEL: Ein symbolischer Vatermord? Wann haben Sie erfahren, dass Ihr Vater Deutscher ist? Handke: Ich erzaehle die Geschichte, wie ich meinen Vater toeten wollte. Und wie ich mich gefreut habe, als meine Mutter sagte: Dein Vater lebt in Deutschland. Ich war 17 Jahre alt. Ich hatte ploetzlich die Vorstellung: Der Ehemann meiner Mutter kann nicht mein Vater sein. Ich fragte meine Mutter. Sie brach in Traenen aus und hat mir die Geschichte erzaehlt. Ich habe dann meinen richtigen Vater aufgesucht, der in der Naehe von Hamburg wohnte. Er ist im vergangenen Jahr mit 86 gestorben. Da ist noch etwas zu erzaehlen. SPIEGEL: Nach dem Buergerkrieg beschwoeren Sie ein mit sich versoehntes Deutschland. Heisst dies: Das Land wird von seiner traumatischen Vergangenheit irgendwann doch entlastet? Handke: Ja. Ich habe mir das vorstellen koennen. Ich habe das beim Schreiben so gesehen. Dadurch ist es beglaubigt. SPIEGEL: Eine neue Verdraengung der Geschichte . . . Handke: . . . keine Verdraengung. Es hat ja wieder ein Krieg stattgefunden. Mir war auch ordentlich mulmig zumute, als ich das geschrieben habe. Ich habe mir gesagt: Jetzt musst du aufpassen, dass das Buch nicht floetengeht. SPIEGEL: Also: Bevor die deutschen Verbrechen Teil der Geschichte werden, muss etwas passieren? Handke: Es muessen grosse Dichter her. Das kann ja auch passieren. SPIEGEL: Vielleicht gibt es keine wegen dieser Vergangenheit. Handke: Das glaube ich nicht. Es ist doch in der ganzen Welt so: Der epische Zusammenhang ist verlorengegangen. SPIEGEL: Warum geizen Sie so mit erotischen Szenen? In frueheren Buechern waren Sie weniger pruede. Handke: Wieso bin ich pruede? SPIEGEL: Etwa wenn Sie homerisch formulieren: Mann und Frau ruhen miteinander. Handke: Das ist doch die lebendigste Erotik: Die ruhen die ganze Nacht. Mich interessiert es nicht mehr, erotische Szenen im Detail zu schreiben oder zu lesen. Bei Henry Miller verband sich damit vielleicht noch eine Art Erloesungsvorstellung. Aber das war verfehlt. Ich verstehe, wie es dazu kam. In der Art, wie die 68er drauflosgevoegelt haben, war die Suche nach einem Heil enthalten. Heute sind alle kaputt - auch deswegen, kommt mir vor. SPIEGEL: Und waere diese Desillusionierung kein Motiv fuer Literatur? Handke: Eher fuer so etwas wie Dichtung und Wahrheit oder fuer eine richtig autobiographische Erzaehlung - das war Goethes Werk ja nicht. Auch fuer eine Autobiographie braucht man noch und noch Inspiration. SPIEGEL: Und weniger keusche Diskretion? Handke: Langsam macht mich das sauer, dass Sie mein Buch fuer unerotisch halten, nur weil - anders als im SPIEGEL - nicht vom Ficken und Voegeln die Rede ist. Bei mir schneidert der Mann der Frau ein Gewand zu. Ist doch nicht schlecht. Oder? Ich finde das eine heisse Stelle. Ich spuere da, was Vereinigung ist. SPIEGEL: Ihre Niemandsbucht scheint in einem sozialen Niemandsland zu liegen: ein Land ohne handfeste Sexualitaet, ein Land auch ohne Armut. Handke: Armut? Der Zimmermann . . . SPIEGEL: . . . die Krippenfigur der Armut . . . Handke: . . . und wenn ich von den Einwohnern oder den Zugewanderten erzaehle, wird deutlich, dass das keine reichen Menschen sind. Ich werde einmal, vielleicht in 20 Jahren, erzaehlen, nicht beschreiben, mit Hilfe von Beschreibungen erzaehlen, was Armut ist und war. Alle Leute, die nicht mehr arm sind, sind versucht, Schnurren von ihrer Armut zu erzaehlen. Das will ich vermeiden. Aber weniger von meiner Armut als von der Armut meiner Mutter muss noch einmal erzaehlt werden. SPIEGEL: Aber nur in Ihrer Autobiographie? Handke: Nur da. Eine solche Autobiographie wuerde ich gern Akne nennen. SPIEGEL: Wie das Hautleiden? Handke: Ja. Das war mein erster Titel, als ich 17 Jahre alt war, damals dacht ich: Ich will ein Buch schreiben, das Akne heisst. Ich hatte zwar keine Akne, aber viele, viele Pickel. Und das hat eine ungeheure Ablenkung im Blick, im Dasein bewirkt bei mir. SPIEGEL: Sie werden immer wieder als priesterlicher Romantiker verehrt oder verspottet. Einer der Freunde in Ihrem Roman ist Priester. Handke: Ich bin mit einem befreundet, der in meinem Heimatdorf lebt und fuer eine Erzaehlung taugt. Das ist fuer mich das Hoechste: wenn einer in die Erzaehlung hineingehoert. Bei den meisten Menschen, die ich treffe, kommt dieser Gedanke nicht. SPIEGEL: Gibt es nicht doch noch einen Priester - in Ihnen selbst? Handke: Ich wollte nie ein Priester sein. Einmal in meinem Leben habe ich etwas wie eine Predigt geschrieben - den Schluss des dramatischen Gedichts Ueber die Doerfer. Darauf bin ich stolz. An dem, was ich da geschrieben habe, habe ich selber Halt. Das ist kein schlechtes Zeichen. Ein andermal habe ich gesagt: Es kann auch eine Predigt ein schoener Text sein. Da mir das einmal unterlaufen ist, stehe ich dazu. Seitdem habe ich nichts mehr gewagt in der Richtung. SPIEGEL: Ihr Verhaeltnis zur Sprache ist schillernd. Der fruehe Handke hat Angst vor der sprachlichen Falle. In der Erzaehlung ueber Ihre Mutter - Wunschloses Unglueck - heilt die Sprache einen Schmerz. Auf welcher Seite dieses Gegensatzes stehen Sie jetzt? Handke: Das sind Stufen, keine Gegensaetze. SPIEGEL: In der Niemandsbucht geborgene, aufgehobene Gegensaetze? Handke: Ich hoffe, dass ich damit ins Freie geraten bin, wo alle diese Fraglichkeiten nicht mehr zaehlen, nur noch mitspielen. In der Erzaehlung Die Wiederholung gibt es einen Lobpreis auf die Macht der Sprache. Damit ist dieses Thema verschwunden. So konnte ich in der Niemandsbucht dann halbwegs frei erzaehlen, und doch - jeder Absatz enthaelt zugleich eine Frage. SPIEGEL: Dabei verfluechtigt sich zuweilen der Realitaetsgehalt. Handke: Mich hat die Idee von Flaubert geleitet, was ihm vorschwebe, sei ein Buch ueber nichts und wieder nichts. Das ist nicht einfach. Mir kommt vor, die ganze Menschheitsgeschichte geht darauf hin, dass Ballast abgeworfen wird - in den Buechern. SPIEGEL: Ihr neues Buch ist schwerer als alle vorherigen. Handke: Da ist zwar viel Gewicht der Welt drin. Aber das Gewicht lastet weniger. Mir kommt vor, dass ich mit diesem Buch zu der Literatur, die es schon gibt, etwas hinzugefuegt habe, was aus dem, was vorher war, zwar kommt, aber es - diese Werke der Weltliteratur - nicht beschwert, eher dafuer sorgt, dass sie leichter werden. SPIEGEL: Sie erleichtern uns dabei auch um einige Ihrer eigenen Werke, die in der Niemandsbucht versteckt zitiert werden. Der wirklich gelungene Satz, so bezeugen es viele Schriftsteller, wirkt, als gebe es ihn schon lange. Handke: Ja, wo man ein Gefuehl des Gelingens hat, da empfindet man auch, dass es nichts Neues ist, sondern nur eine Variation. Warum sage ich nur? Es gab ein paar Momente in meinem Schreibleben, da habe ich gedacht, jetzt spuere ich die Welt Tschechows. Oder die Welt Shakespeares. Andererseits kommt mir vor: So ein Buch wie die Niemandsbucht hat noch niemand geschrieben. So jemanden wie mich hat es noch nie gegeben. SPIEGEL: Ihre Buehnenfigur Kaspar wollte lieber ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist. Handke: Ich habe gedacht, ich bin der umgekehrte Kaspar. SPIEGEL: Ihre Prosa hat kein spezifisches Aroma. Handke: Soll sie auch nicht. Der bekannte Kritiker, der in meinem Buch als Hund vorbeischnueffelt, hat immer eine gute Nase. Die grossen Buecher aber haben keinen Duft - darum kann er sie auch nicht erschnueffeln. SPIEGEL: Duftlose, an Tschechow oder Shakespeare geschulte Prosa - das klingt bedrohlich klassisch. Oder wie ordnen Sie sich selber ein? Handke: Ich bin noch nicht bei meinem Altersstil angelangt. Als ich jung war, habe ich an Sartres Literaturtheorie kritisiert, er verlange eine Sprache klar wie Glas. Heute bin ich, anders als es Genosse Sartre gemeint hat, soweit, dass ich zwar nicht den Spiegel, die sprachliche Abbildung, aber doch die sprachliche Durchlaessigkeit schaetze, rhythmische Durchlaessigkeit. SPIEGEL: Sie sind jetzt in einer Phase der Gelassenheit? Handke: Ich glaube nicht an Phasen eines Lebens. Gelassen waer ich gern. Aber noch endet bei mir jeder Absatz schneidend. Ich waere gern Epikureer, doch ich bin ein Hin- und Hergeworfener. SPIEGEL: Stefan Zweig hat einmal den deutschen Dichtern vorgehalten, ein Kunstwerk sei fuer sie nur ein Vorwand, naeher an sich selbst - statt an die Welt - heranzukommen. Uns scheint das ganz gut auf Sie zuzutreffen. Handke: Dahinter steckt ein fadenscheiniger Gegensatz. Ich selbst kann ein Buch nur lesen, wenn ich ein Ich spuere. Wie steht dieses Ich zu sich und zu den anderen? Nur indem ich bei mir bleibe, kann ich von der Welt erzaehlen. Das Ich muss so tief in sich hineingehen, dass es anonym wird. Je mehr ich nach innen gehe, desto weiter werde ich. SPIEGEL: Und Buecher ohne Ich? Handke: Das sind Schmoeker. Der Schriftsteller als Lesefutterknecht, wie es in meinem Buch heisst, damit ist jemand wie Marquez gemeint. SPIEGEL: Ihr Buch ist keine Gesellschaftserzaehlung, wie Sie es nennen. Ist das nicht doch ein Mangel? Waeren Sie nicht ganz gern auch ein Balzac? Handke: Balzac vermisse ich nicht bei mir. SPIEGEL: Marcel Reich-Ranicki vermisst ihn bei Ihnen. Handke: Ich glaube nicht, dass er irgend etwas vermisst. Wuerde jemand Stendhal bei mir vermissen, das waere schlimm - seine Weitraeumigkeit. SPIEGEL: Auch Stendhal war ein psychologischer Menschenbildner. Steht Ihnen das noch bevor? Handke: Es ist wahr: Als ich von Salzburg wegzog, wo ich acht Jahre gelebt habe, ging mir das durch den Kopf. Koennte ich mir all die Leute, die ich dort unangenehm nah kennengelernt habe, in einem Roman vorstellen? Und das konnte ich. Aber eben in einem Roman aus dem vorigen Jahrhundert, nicht aus meinem. SPIEGEL: Und der grosse Roman ueber Oesterreich, den Sie schon vor mehr als 20 Jahren schreiben wollten? Handke: Die Idee hat mich lange beschaeftigt. Das Fragment Langsame Heimkehr sollte eigentlich ein dickes Buch mit dem Titel Ins tiefe Oesterreich werden. Da bin ich gescheitert. Die Sprache ist mir ausgegangen. SPIEGEL: Die taegliche Nachrichtenfuelle kann einem auch die Sprache rauben - schirmen Sie sich dagegen ab? Handke: Am Morgen lese ich Liberation, am Nachmittag Le Monde. Dem entkommt man nicht. Wenn ich die Medien ignoriere, kommt mir die Welt noch bedrueckender vor, weil ich nichts von ihr weiss. Wenn ich Fernsehnachrichten sehe, befaellt mich ein Gluecksgefuehl - ich bin auf einmal in der Welt. SPIEGEL: Liegt es daran, dass Sie deutsch schreiben, aber franzoesische Fernsehnachrichten sehen? Handke: Sicher auch. In der fremden Sprache ist das Grauenhafte nicht so spuerbar. Aber die Distanz durch die andere Sprache dauert nicht lange. Nein - mir ist nach einer Zeit von Medien-Uebelkeit doch aufgegangen, es geht nicht, dass ich auf die Dauer meines Lebens der Feind meiner Zeit bin oder dass ich mich so aufspiele. Ich muss nicht gerade ihr Kumpel werden, aber ich moechte, ohne versoehnlich zu sein, mit der Zeit auskommen und mittun. SPIEGEL: Hier schoene Prosa ueber Waldpilze, dort die TV-Bilder vom Balkankrieg - geht das ueberhaupt? Handke: Diese Diskussion wird bis ans Ende der Menschheit gehen und wird nie geloest werden. Sie ist nur dadurch zu loesen, dass einer von einem Buch erzaehlt, was er damit erlebt hat, oder daraus vorliest oder einem anderen damit auf den Kopf schlaegt oder schweigt und weggeht. SPIEGEL: Herr Handke, wir danken Ihnen fuer dieses Gespraech. Y Bildunterschriften: S.170 Autor Handke in Chaville: Ich haenge an Deutschland - wie konnten diese Verbrechen gerade dort passieren? C. SATTLBERGER / ANZENBERGER S.171 Handkes Elternhaus*: Die dort Gebliebenen sind Entwurzelte G.EGGENBERGER Handke mit Mutter (1943) Sie brach in Traenen aus S.172 Handke-Stueck Kaspar in Muenchen (1989) O.STERNBERG S.176 Handke-Werk Ueber die Doerfer in Hamburg (1982) P.PEITSCH Fussnoten: * In Griffen-Altenmarkt (Kaernten). Autor: Volker Hage/Mathias Schreiber Namen: a Handke / Peter; a Goethe / Johann Wolfgang v.; Hage / Volker; Musil / Robert; Schreiber / Mathias; Stifter / Adalbert; a Strauss / Botho; Goethe / Johann Wolfgang v.; Miller / Henry / (Schriftsteller); Flaubert / Gustave; Balzac / Honore de; Garcia Marquez / Gabriel; Reich-Ranicki / Marcel; Sartre / Jean-Paul; Shakespeare / William; Stendhal; Tschechow / Anton; Zweig / Stefan Themen: a Schriftsteller / Handke, Peter, SP.-Gespraech; SPIEGEL-Gespraeche / Handke, Peter; a Buchtitel / Mein Jahr in d. Niemandsbucht Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 94000490017001 |
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Der Spiegel Nr. 45 vom 07.11.1994 Seite 242 - 243 Autoren Das Zittern der Graeser SPIEGEL-Redakteur Volker Hage ueber Peter Handkes Mammutwerk Mein Jahr in der Niemandsbucht Im Herbst 1974, vor genau 20 Jahren, schrieb der junge Schriftsteller Peter Handke in Paris an einer Geschichte, die von einem jungen Oesterreicher handelt, der in Paris als Mitarbeiter der Botschaft lebt und sich von der Welt eigentlich nur gestoert fuehlt. Wenn dieser Gregor Keuschnig morgens am Kiosk in den Schlagzeilen liest, dass auf Zypern ein Krieg drohe, dann faellt ihm dazu ein: Wie laestig . . . was fuer eine Einmischung in mein Leben! Mancher Kritiker hat das damals fuer ein reines Selbstportraet des Autors gehalten. Immer wieder wurden Handke Weltflucht und narzisstische Selbstbespiegelung vorgeworfen. Er sei unfaehig, hiess es auch vorher schon, in seiner Literatur gesellschaftliche Zusammenhaenge darzustellen. Handke liess sich nicht beirren. Selbstbewusst hielt er am poetischen Programm fest, das der Titel der 1975 publizierten Erzaehlung verhiess: Die Stunde der wahren Empfindung. Der Dichtersmann ist seither viel auf Wanderschaft gewesen, hat mal in seiner Heimat Oesterreich, mal in Andalusien, mal in der kastilischen Provinz Soria seine meist vom Umfang her kleinen Buecher geschrieben - und vom grossen Epos, von der weit ausholenden Erzaehlung bisher nur getraeumt. Nun hat er sich den Traum erfuellt. Handke, der seit 1989 in Chaville lebt, nicht weit von Paris entfernt, brachte dort innerhalb eines Jahres (Januar bis Dezember 1993) sein Buch Mein Jahr in der Niemandsbucht zu Papier, ein Buch, das tatsaechlich mehr als 1000 Seiten umfasst - wobei der Verlag allerdings etwas nachgeholfen hat, indem er das Mammutwerk mit einer den Augen wohltuenden grossen Schrift drucken liess*. Schauplatz: ein Vorort von Paris. Zeit: das Jahr 1997, gegen Jahrhundertende. Handlung: kaum eine. Thema: die Entstehung eines Buches mit dem Titel Mein Jahr in der Niemandsbucht. Der fiktive Erzaehler ist ebenjener Gregor Keuschnig, nun Mitte Fuenfzig. Nach einer abgebrochenen Karriere als Jurist wurde er Schriftsteller. Und mit den Jahren versoehnlich gegen die Mitwelt. Meine Epoche, mein Feind: Das gilt fuer ihn nicht mehr. Als Familienvater hat sich Keuschnig nicht besonders bewaehrt: Sein Sohn Valentin ist schon aus dem Haus, und Ehefrau Ana, die Katalanin, hat den besessenen Schreiberling zum zweitenmal verlassen: Du kannst dein Rauschen der Baeume und dein Zittern der Graeser nicht teilen - ausser im Buch. Da sitzt er in seiner Bucht, die ihm auch zur Waldbucht und Allerweltsbucht wird, hinter den Huegeln, im Hinterland der Weltstadt, wo vom Eiffelturm nur die Spitze zu sehen ist, und er liebt es, wenn in dem Laubschatten die Bleistifte gleichmaessig dahinfuhren. Zum Schreiben geht er naemlich am liebsten raus in die Natur. Eines Tages, als das Manuskript schon weit gediehen ist, trifft sich Keuschnig in einem Pariser Lokal am Pont Mirabeau mit einem Mann, hinter dem sich der Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld vermuten laesst. Keuschnigs Verleger fuerchtet, anhand einiger fotokopierter Textproben, das Schlimmste. Schon der geplante Titel gefaellt ihm nicht: Das Wort Niemand wirke negativ und abschreckend. Im uebrigen sei es unzeitgemaess, die Haupthandlung in einer abgelegenen Vorstadt anzusiedeln, eine Geschichte von heute habe in den Zentren zu spielen. Und anscheinend sei der Autor immer noch mit sich selbst beschaeftigt - wieder ein Buch, in dem die Schriftstellerei zum Thema wird. Verleger wissen: Das Publikum schaetzt derlei nicht besonders. Dabei hat Keuschnig diesmal die besten Absichten gehabt. Diese Geschichte, nimmt er sich gleich zu Beginn vor, soll von mir nur unter anderem handeln. Und als er einige Seiten spaeter immer noch von sich redet (und das wird bis zum Ende so bleiben), ermahnt er sich: Wollte ich in dieser Geschichte nicht Randfigur sein? Eigentlich soll es um sieben Freunde gehen, ferne Freunde, deren Wege der Erzaehler sich imaginieren moechte: um den Saenger, den Leser, den Maler, die Freundin, den Architekten, den Priester und den eigenen Sohn. Die Geschichte meiner Freunde gibt es dann auch, doch sie beginnt erst auf Seite 437 und umfasst nur ein Kapitel von vieren in diesem Buch. Handkes Werk steht in der Tradition jener Schreibweise, in der die Umwege das Ziel sind. Seit Laurence Sternes Tristram Shandy (1759 bis 1767) sind das nicht die schlechtesten Buecher in der Literatur. Keuschnig wuenscht sich, aufgehen zu koennen in einem fraglosen ( . . .) mitvibrierenden Dahinerzaehlen - nur deshalb habe er bei dem Vorhaben hier so viele Umschweife gemacht, so viele Nebenwege eingeschlagen. Immer wieder glaubt man, hinter dem Erzaehler den realen Autor ausmachen zu koennen. Handke treibt in seinem neuen Buch ein souveraenes Spiel mit der autobiographischen Suggestion. Die Abweichungen von der eigenen Biographie sind oft nur haarfein, aber eben vorhanden. Keuschnig hat vor seiner Schriftstellerei eine Zeitlang als Jurist gearbeitet, bei den Vereinten Nationen in New York, in einer Kanzlei daheim. Handke gibt ihm vergnuegt eine ganze Reihe fiktiver Werke mit auf den Weg, ein Debuet mit dem Titel Halbschlaferzaehlung, eine Rundreise eines Schriftstellers und einen Versuch ueber die Nachbarschaft. Einiges davon erinnert sicher nicht zufaellig an Handke-Buecher wie den Versuch ueber die Muedigkeit oder Langsame Heimkehr. Er laesst seinen Keuschnig auf einen anderen Schriftsteller treffen - auch der ein alter Bekannter: naemlich Filip Kobal aus Handkes Buch Die Wiederholung (1986). Der ist daheim geblieben, naehrt sich redlich und macht dem in der Fremde angesiedelten Keuschnig Vorwuerfe, von Kollege zu Kollege gewissermassen: Von der Landschaft und den Leuten hier kannst du meinetwegen ein Tagebuch fuehren, auch eine Chronik. Aber sogar wenn du da noch einmal zwanzig Jahre absitzt und abgehst, wird nichts dir sich vertiefen hin zum Sagenhaften. Dann eben nicht, sagt sich Keuschnig, darin nicht nur geographisch seinem Erfinder naeher, und notiert ueber Kobal spitz: Er ist fuer sein naechstes Volksbuch zurueckgekehrt in unsere gemeinsame Talschaft. So munter und leicht geht es oft in diesem Jahr in der Niemandsbucht zu. Die Verbissenheit, die manche Arbeiten Handkes zum Teil schwer geniessbar machte, ist hier vollends gewichen: ein mitunter geradezu froehlich wirkendes fruehes Alterswerk. Nur einmal kommt Verbiesterung auf: Da ist vom Feind in Deutschland die Rede, dem Kritiker - und da droht das feine Gewebe aus Fiktion und Metafiktion zu zerreissen. Als waere nicht ohnehin deutlich, wer dieser Kritiker, der schlaueste und zugleich beschraenkteste, sein soll, gibt es - nicht zum erstenmal bei Handke - eine ueberfluessige Anspielung auf Marcel Reich-Ranickis Praegung durch das Warschauer Ghetto. Doch ernstlich beschaedigen kann dieser Ausfall Handkes Meisterwerk nicht - und sogar dem einstigen Feind gegenueber gibt sich Keuschnig am Ende milde. Hatte der vielleicht zu Recht in einem frueheren Buch Keuschnigs eine verunglueckte Metapher erschnueffelt, naemlich: ein Beduerfnis nach Heil, wie es einem der Helden auf die Augenlider drueckt? (Tatsaechlich beginnt mit diesem schwerfaelligen Bild Handkes eigenes Buch Langsame Heimkehr aus dem Jahr 1979.) Von einem Beduerfnis nach Heil, ausserhalb des Schreibens und der Literatur, ist im Jahr in der Niemandsbucht nichts mehr zu spueren. Im Gegenteil: Die Mythen scheinen dem Ich-Erzaehler verballhornt, verderbt, verdorben zu sein, er moechte dagegen die blosse Gegenwart, den Tag jetzt, den mythenfreien Augenblick gelten lassen. Und auch von einer Gemeinschaft der Versprengten, von Auserwaehlten und Geheimzirkeln erwartet Keuschnig ausdruecklich nichts - hier mag Handke an Botho Strauss gedacht haben, den zwei Jahre juengeren deutschen Kollegen. Beide sind in ihrer Generation derzeit die auf- und anregendsten Schriftsteller deutscher Sprache. Beide sind, wie es sich gehoert, umstritten. Beide sind sie Erzaehler, Dramatiker, Lyriker und gelegentlich auch, voller Skrupel, Essayisten und Kommentatoren. Handkes Alter ego Keuschnig hat sich vorgenommen, die Weltgeschichte zu ignorieren, und dennoch immer wieder einmal in eine todfalsche Mitte gezielt, ob als Redner vor Gericht oder als Artikelschreiber, der sich einbildete, wie einst Emile Zola Geschichte machen zu koennen. Handke und Strauss haben vor allem dieses gemeinsam: Beider Werk ist nicht zu denken ohne das Nachdenken ueber die Taetigkeit des Schreibens - mitsamt den Selbstzweifeln und Verzagtheiten. Und wovon sonst ist in der bedeutenden Literatur aller Zeiten und Nationen zumindest insgeheim die Rede? Kommentarlos zitierte der franzoesische Dichter Albert Camus 1959, nicht lange vor seinem Tod, im Tagebuch die Worte seines russischen Kollegen Boris Pasternak: Die groessten Werke auf der ganzen Welt behandeln zwar die verschiedensten Dinge, aber in Wirklichkeit erzaehlen sie uns ihre eigene Entstehung. Mein Jahr in der Niemandsbucht gibt sich weltfern und ist doch als Buch ganz Gegenwart. Der leichte zeitliche Vorsprung, den Handke seiner Geschichte dadurch gibt, dass er die Handlung um drei Jahre vorversetzt, macht aus der Vergangenheitsform eine nahezu tempusfrei irrlichternde Melodie. Ist das nun die neuerdings auch bei einigen Kritikern gefuerchtete postmoderne Literatenliteratur? Was zaehlen solche Etiketten, wenn die Prosa so intensiv wie entspannt, so ueberraschend wie einleuchtend, so schoen wie eigenwillig ist. Ein gewaltiges Werk ist Peter Handke da nicht nur an Seitenzahl gelungen, eine trotzige Selbstbehauptung des einsamen, aber eben gerade dabei so wachen Traeumers - eine einzige grosse Erzaehlung ueber das Erzaehlen, das nicht aufhoert. Sie wird bleiben. Y Bildunterschriften: S.242 Schriftsteller Handke Was fuer eine Einmischung in mein Leben GAUTHIER / SIPA S.243 Handke-Thema Paris: Bleistift im Laubschatten ACTION PRESS Handke-Figuren Unseld, Reich-Ranicki: Intensiv und entspannt K.RUDOLPH / ZEITENSPIEGEL M.STORZ / GRAFFITI Fussnoten: * Peter Handke: Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein Maerchen aus den neuen Zeiten.Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.; 1072 Seiten; 78 Mark. Autor: Volker Hage Unternehmen: Suhrkamp Verlag
Namen: Hage / Volker; Handke / Peter; Sterne / Laurence; Unseld / Siegfried; Camus / Albert; Pasternak / Boris; Reich-Ranicki / Marcel; Strauss / Botho; Zola / Emile Themen: Buchbesprechungen, Kolumne / Hage: Mein Jahr in d. Niemandsbucht (Handke); Buchtitel / Mein Jahr in d. Niemandsbucht Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 94000450024200 |
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Der Spiegel Nr. 6 vom 07.02.1994 Seite 167 - 169 Theater Festliches Schweigen Peter Handke beklagt die Sprachlosigkeit der Welt in einem Kinofilm und in seinem Erfolgsstueck, das Luc Bondy neu gedeutet hat. Dem Dichter, so scheint es, gehen die Worte aus. Vor zwei Jahren hat Peter Handke die Theaterwelt mit dem Schau-Spiel Die Stunde da wir nichts voneinander wussten ueberrascht - einem ganz und gar sprachlosen Stueck, in dem die Schauspieler nur gestikulierend ueber die Buehne schnueren. Und diese neue schweigende Welt beschwoert Handke, 51, nun auch in einem aktuellen Film, der unter dem Titel Die Abwesenheit demnaechst in deutsche Kinos kommt. In beiden Kunst-Stuecken zelebriert der oesterreichische Sensibilissimus die Unfaehigkeit der Menschen, sinnvoll miteinander zu kommunizieren. Die Vision einer verstummenden Menschheit suchte den Dichter ausgerechnet auf einem belebten italienischen Kleinstadt-Platz heim. Stundenlang sass er dort bei kuehlem Wein und kam ins Schauen. Ploetzlich wurde fuer den Voyeur des Alltaeglichen alles zeichenhaft, als ob die kleinsten Vorgaenge des Lebens auf einmal die Welt bedeuteten. Nach dem vertroedelten Nachmittag auf der Piazza schrieb Handke in gut zwei Sommerwochen sein Stunden-Stueck, und auf einmal bedeutete die Piazza tatsaechlich die ganze Welt - jedenfalls auf dem Theater. Knapp 60 Seiten lang gibt Handke wortreich Regieanweisungen fuer sein stummes Schau-Spiel. Hunderte von Menschen kommen und gehen. Sie bewegen sich aufeinander zu, blicken sich an und wieder aneinander vorbei, beruehren sich, erstarren, verachten, begehren sich, kaempfen, lieben - und sagen kein einziges Wort. Feuerwehrleute, ein Koch, ein Chirurg, Schwangere, Soldaten, Bergsteiger, Goeren, Greise. Dazwischen tummeln sich ein paar sehr alte Bekannte: Abraham und Isaak, Moses und Aeneas, Tarzan und Papageno - auch sie ruecksichtslos zum Schweigen gebracht. Nach der grellen Urauffuehrung in Wien durch Claus Peymann vor knapp zwei Jahren und zwei weiteren Deutungen in Bochum und Freiburg wagte Starregisseur Luc Bondy in der Berliner Schaubuehne am vergangenen Donnerstag eine tragikomische Version von Handkes Hommage auf das Schweigen. Gilles Aillaud baute ihm dafuer einen grossflaechigen Buehnen-Raum, weit entfernt von der flirrenden Heiterkeit italienischer Idylle, wie sie Karl-Ernst Herrmann in Wien beschwor. Aillauds Szenerie erinnert an die fahle Aermlichkeit nordafrikanischer Kuestenorte. Kein kurzfristiges Urlaubs-Utopia fuer zivilisationsmuede Gesamtschullehrer, mehr ein verstoerender Elendsort: links ein weisser, fensterloser Kubus mit einer Tuer, rechts eine halb unter einer schmutzigen Plane versteckte Citroen-Ente, drei Telegrafenmasten, eine niedrige Kaimauer, dahinter ein schmaler Streifen Meer. Dies ist kein Spiel-Platz. Hier kommt man widerwillig vorbei. Und so ist auch kein bunter, pantomimischer Bilderbogen zu besichtigen, in dem drei Dutzend Schauspieler in stetem Rollenwechsel artistisch ihre Wandlungsfaehigkeit beweisen. Bondy zeigt Alltagsdramolette von verstoerender Komik. Noch bevor das Spiel beginnt, steht es fuer eine paar Sekunden in Frage. Ein sandfarbener, transparenter Vorhang zieht flatternd vorueber. Ein paarmal unterbricht und gliedert Bondy spaeter so noch das Stueck. Niemand soll das Theater mit dem Leben verwechseln. Bondy inszeniert das Werk als langen, mystischen Augenblick, der kurz vor der Zerstoerung durch die Sprache steht. Gegen Ende sind fast alle auf der Buehne, die Alltagsfiguren und das Mythenpersonal. Alle sind zum Stillstand gekommen. Ein alter Mann steht auf einem Baumstumpf und beginnt zu lallen. Fuer einen Moment liegt eine Ahnung vom erloesenden ersten Wort in der Luft. Handke, der Sprachartist und feinsinnige Seelendeuter, hat beim Schreiben die Gefahr gespuert und mit Gewalt aufgeloest. Denn sonst, sagt er, haette ich aufhoeren oder das Stueck abbrechen muessen. Er verbot seinen Figuren kurzerhand auch weiterhin den Mund. Im Kino dagegen, in seinem Spielfilm Die Abwesenheit, ist der Dichter etwas grosszuegiger. Da passiert, nach des Autors eigener Einschaetzung, nichts, da ist alles nur Landschaft und Reden. Stark uebertrieben: Geredet wird nur im Notfall. Wie in seinem Stunden-Stueck treffen auch in Handkes Abwesenheit Fremde aufeinander. Doch so beredt deren Schweigen im Theaterstueck ist, so altklug-schwatzhaft wirken die vielsprachigen, spaerlichen Dialoge im Film. Ein alter Dichter, eine junge Frau, ein Soldat und ein Spieler treffen sich und brechen zu einer Pilgerreise ins Nirgendwo auf. Sie stapfen durch gruene Laubwaelder, fahren Bus, gehen schwimmen und angeln und sagen sich unsaeglich Bedeutendes. Sie tun dies hauptsaechlich auf deutsch, franzoesisch und spanisch, denn schliesslich handelt es sich um eine vielfach gefoerderte Euro-Produktion. Irgendwann geht der alte Mann verloren. Die anderen suchen ihn, finden ihn nicht und feiern ein oedes Fest der Abwesenheit. Zuvor haben sie erkannt, dass nur die Stille die Quelle aller Bilder ist und die Mutter der Phantasie. Im Theater hat Luc Bondy aus der Handke-Quelle noch starke Bilder geschoepft. Dies bleibt dem Autor als Filmregisseur versagt. Da gehen dem Dichter, nach den Worten, auch noch die Lichter aus. Y Bildunterschriften: S.167 Bondys Berliner Handke-Inszenierung: Und sagen kein einziges Wort Namen: b Bondy / Luc; Handke / Peter; b Aillaud / Gilles; Herrmann / Karl-Ernst; Peymann / Claus Themen: b Filmtitel / Abwesenheit, Die; Theater / Berlin / Schaubuehne / Die Stunde da wir nichts voneinander wussten (Handke) / Bondy-Inszenierung; Theatertitel / Stunde da wir nichts voneinander wussten, Die Datenbank SPIEGEL Dokumentnummer 94000060016702 |
© Bund; 1996-02-15; Seite 7; Nummer 38
Peter Handke / Zu seiner heftig diskutierten «Winterlichen Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina» Von der Kraft der nebensaechlichen Dinge Einen Terroristen hat Andre Glucksmann Handke im «Corriere della Sera» genannt, er sei von einem «Wahn von Krieg und Blut und Boden» befallen, hiess es in der FAZ, und der Schweizer Autor Juerg Laederach hat sich seinetwegen von Suhrkamp getrennt. Was hat Handke denn geschrieben? Das Reisen ist in Handkes Werk nie ein Mittel zur Erkundung des Aussen, sondern immer eine Annaeherung an das eigene Ich, eine Moeglichkeit der Selbstfindung, gewesen. Valentin Sorger in «Langsame Heimkehr», der Ich-Erzaehler in «Die Lehre der Sainte-Victoire», Andreas Loser in «Der Chinese des Schmerzes», der Slowenien-Reisende und sich dort selbst findende Filip Kobal in «Die Wiederholung», die vier Figuren des Maerchens «Die Abwesenheit»: Sie alle begeben sich auf eine Reise, weil Reisen fuer sie, wie Handke es bereits 1972, in seinem «Kurzen Brief zum langen Abschied», formuliert hat, «Aufbruch und Fortbewegung von einem bestimmten, alltaeglichen Leben» ist und weil sie, wie der Ich-Erzaehler im «Kurzen Brief», unversehens von einem Beduerfnis nach Veraende rung gepackt werden: «Das Beduerfnis, anders zu werden, als ich war, wurde ploetzlich leibhaftig wie ein Trieb.» Suche nach einer Gegenwelt Das ist, laesst man das Drum und Dran vorerst einmal weg, in Handkes neuester Veroeffentlichung nicht anders. Vier Jahre lang hatte er schon vorgehabt, Serbien zu besuchen, ehe er dann mit zwei serbischen Freunden zusammen im Oktober 1995 ziemlich unvermittelt - «Ich hatte mich fuer Serbien im uebrigen nicht besonders vorbereitet» - in jenes Land aufbrach, das ihm nur wenig bekannt war, obwohl er das ehedem damit verbundene Slowenien, das Herkunftsland seiner Mutter, immer wieder als sein «wirkliches Zuhause» bezeichnet. Und was er dann, wenn wir die persoenliche Quintessenz vorwegnehmen, in Serbien trotz oder gerade wegen des Kriegszustands an «Drittem», an «Lebenswelt», fand, war «das Bild einer, im Vergleich zu der unsrigen, geschaerften und fast schon kristallischen Alltagswirklichkeit», war eine «grosse Nachdenklichkeit» und eine «uebergrosse Bewusstheit» bzw. eine «wuerdevolle kollektive Vereinzelung» und jenes «gemeinsame Gedaechtnis», das ihn in der Erinnerung an das Slowenien, wie es frueher war, einen Moment lang mit irgendeinem Lastwagenfahrer innerlich verbinden konnte. So sehr erschien Handke die durch den Krieg auf sich selbst zurueckgeworfene verschworene Gemeinschaft der von der Weltoeffentlichkeit geaechteten Serben als eine Gegenwelt zur «westlichen oder sonstwelchen Waren- und Monopolwelt», dass er sich beim Wunsch ertappte, «die Abgeschnittenheit des Landes - nein, nicht der Krieg - moege andauern». Die Reise eines sich selbst suchenden Dichters in die Einsamkeit Serbiens ist der eine, die von Handke ganz bewusst mitgelieferte provokante politische Dimension der andere wichtige Aspekt dieses Buches. «Gerechtigkeit fuer Serbien» lautete der (von der Redaktion der «Sueddeutschen Zeitung» stammende) Haupttitel, als «Eine winterliche Reise» in zwei je acht Seiten umfassenden Teilen im Januar 1996 als Zeitungsvorabdruck erstmals erschienen. Und zumindest als Untertitel hat Handke die Forderung auch in der Buchausgabe stehen lassen. Wobei nicht unterschlagen werden darf, dass «politisch» hier eher «medienpolitisch» heissen muss und der Autor nicht - wie seinerzeit Emile Zola in seinem beruehmten «J accuse» - eine juristische oder amtliche Aktivitaet initiieren, sondern nur die Presse zu groesserer Gerechtigkeit in der Darstellung des Jugoslawien-Konflikts auffordern will. Handkes kritische Einstellung der Presse gegenueber ist nicht neu, war doch die Beschaeftigung mit den Mechanismen der Wahrnehmung und der Kommunikation von Anfang an ein zentrales Thema seines Schreibens. Und selbst was die konkreten Attacken im Falle Ex-Jugoslawiens betrifft, sind Benennungen wie «zentrales europaeisches Serbenfressblatt» fuer die FAZ, «versteckt demagogisches Schnueffelblatt» fuer «Le Monde» oder «handelsuebliche Niedrigkeit» fuer die «Spiegel»-Sprache im vorliegenden Band nur um ein weniges schaerfer als in «Abschied des Traeumers vom Neunten Land» von 1991, wo vom «grossmaeulig-ahnungslosen ,Spiegel » oder von der «Finstermaennerriege der FAZ» die Rede war. Was Handke jedoch, sieht man von eindeutigen Entgleisungen einmal ab, zu jenem Journalismus zu sagen hat, der «den Schreiberberuf mit dem eines Richters oder gar mit der Rolle eines Demagogen verwechselt», der «die Sujets» nicht mehr beschreibt oder evoziert, sondern «begrapscht» bzw. «zu Objekten macht», dem jedes Mittel recht ist, um «den Krieg unter die Kunden zu bringen» - das muss all denen zu denken geben, die in den letzten Jahren die immer staerker von einem toedlichen Konkurrenzkampf bestimmte Medienlandschaft mit Sorge beobachtet haben. Irritiert darueber, dass unsere Beteiligung «beinah immer nur eine (Fern-) Sehbeteiligung» sei, und beunruhigt darueber, dass, so Handke woertlich, «ein Teil in mir (der freilich nie fuer mein Ganzes stand) diesem Krieg und diesen Kriegsberichterstattungen nicht trauen» konnte, reiste der Schriftsteller nun also im Oktober 1995 selbst nach Serbien. Und enttaeuschte mit dem Bericht, den er darueber schrieb, all die, die von dem beruehmten Intellektuellen objektive Auskuenfte ueber die tatsaechliche Situation und die tatsaechlichen Schuldigen erwartet hatten. Denn Handke stellte nur ein paar (freilich provozierende) Fragen in den Raum - diejenige nach dem ersten Aggressor z. B. oder diejenige nach den serbischen Kriegsopfern, von denen er noch nie eines gesehen haben will - und wandte sich dann dem scheinbar Nebensaechlichen zu: der Landschaft, dem Schnee, den Sorgen einfacher Menschen, dem Gespraech mit einem serbischen Schriftsteller. Harmlosigkeit angesichts des (von Serben verbreiteten) Schreckens, Blauaeugigkeit einer Clique von Kriegsherren und Saeuberern gegenueber - all das wurde Handke inzwischen mit guten Gruenden vorgeworfen. Aber dabei wurde vielfach uebersehen, dass Handke keine Antworten gegeben, sondern immer nur Fragen gestellt hat, und dass seine UEberlegungen letztlich nicht auf neue Schuldzuweisungen, sondern auf eine (ebenfalls in Frageform geaeusserte) Selbstkritik - «Hat es meine Generation bei den Kriegen in Jugoslawien nicht verpasst, erwachsen zu werden?» - und, was noch wichtiger ist, auf einen Aufruf zur Versoehnung hinauslaufen. Handke weiss naemlich sehr wohl um das Schreckliche, das verschwiegen bzw. verharmlost zu haben man ihm vorwirft. Aber er setzt, weil das Propagieren der «boesen Fakten» offensichtlich nichts gebracht hat, auf die Versoehnungskraft der nebensaechlichen Dinge. Weniger belastet als die grossen Thesen und Erkenntnisse, koennten diese harmlosen Nebensachen jenes gemeinsame Erinnern wieder moeglich machen, das am Anfang einer neuen AEra stehen muesste: «aus der Erfahrung, dass gerade auf dem Umweg ueber das Festhalten bestimmter Nebensachen, jedenfalls weit nachhaltiger als das Einhaemmern der Hauptfakten, jenes gemeinsame Sich-Erinnern, jene zweite, gemeinsame Kindheit wach wird.» Peter Handke: «Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien». 135 Seiten. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt. Loest mit seinem Buch heftige Kontroversen aus: Peter Handke. (Ohlbaum) Interview / Milo Dor zu Peter Handkes Text und den Reaktionen darauf Emotionen statt Argumente Milo Dor, vom Pass her OEsterreicher, wurde 1923 als Sohn einer Belgrader Familie in Budapest geboren und lebt in Wien. Er hat sich immer wieder mit seinem Herkunftsland Serbien auseinandergesetzt: Am intensivsten in «Leb wohl, Jugoslawien! Protokolle eines Zerfalls» (1993/1996). Interview: Charles Linsmayer «Bund»: Wie erklaeren Sie die hohen Wellen, die Peter Handkes Text ueber seine Reise nach Serbien geworfen hat? Milo Dor: Ich verstehe die Aufregung nicht, und wenn der Anlass nicht ein so tragischer waere, wuerde ich das Ganze laecherlich finden. Zu begreifen ist einzig die Reaktion jener Presseleute, die er zum Teil ja ruede beschimpft hat und die sich jetzt mit Gegenangriffen zur Wehr setzen. Ist an Handkes Journalistenschelte denn nicht auch etwas Wahres? Da, wo er jenen Sensationsjournalismus geisselt, der die Ware Krieg vermarktet, gehe ich voll mit ihm einig. Und es ist ja nicht zu verkennen, dass die westliche Presse lange Zeit einseitig antiserbisch argumentiert hat. Aber das ist spaetestens seit dem Angriff der Kroaten auf die Krajna anders geworden, und das hat Handke uebersehen. Wie schaetzen Sie Handkes Essay insgesamt ein? Handke hat den Fehler begangen, dass er sich vorher zu wenig informiert hat. Er handelt zu stark aus Opposition gegen die antiserbisch eingestellte Presse, setzt dem aber keine Argumente, sondern Emotionen entgegen. Er faehrt hin und sieht: Das sind arme, bedauernswerte Menschen. Das ist zu wenig. Er haette z. B. auch etwas von der serbischen Opposition schreiben muessen, von jenen 200 000 jungen Maennern etwa, die Belgrad aus Opposition gegen den Krieg verlassen haben. Aber was ist denn so falsch daran, dass er «Gerechtigkeit fuer Serbien» fordert? Schon der Titel. «Gerechtigkeit fuer die Serben», das wuerde ich unterschreiben koennen, aber «Gerechtigkeit fuer Serbien» haette er nur fordern duerfen, wenn er erklaert haette, welches Serbien er meint, das «andere Serbien» der inneren Emigration oder das offizielle Serbien. So, wie Handke es formuliert hat, bekommt er Beifall von der falschen Seite. Er ist mir zu naiv. Er hat einerseits recht, will etwas zurechtbiegen, will mehr Objektivitaet in die Diskussion bringen, aber ist selbst wiederum viel zu emotional. Handke fordert doch auch zur Versoehnung, zu einem gemeinsamen Erinnern auf . . . Es gibt keine Versoehnung, solange nicht alle Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt sind. Es sind da auf beiden Seiten die alten nationalistischen Kaempen wieder zum Zug gekommen, und leider ist zuzugeben, dass die meisten Kriegsverbrecher Serben sind. Handke sagt, dass seine Generation an Jugoslawien haette erwachsen werden sollen und vergleicht den Balkankonflikt mit dem Spanischen Buergerkrieg, der 1936 die Jugend Europas mobilisiert hat. Da muesste sich Handke selbst an der Nase nehmen. Er ist ein Mensch, der sich konsequent weigert, erwachsen zu werden. Waere er umsichtiger, ueberlegener, erwachsener verfahren, so waere sein Buch sehr viel interessanter geworden. So aber hat er nur provoziert, und das mit einem Text, der bei Lichte besehen reichlich duenn und harmlos daherkommt. Worin sehen Sie das Positive an der durch Handkes Buch ausgeloesten Auseinandersetzung? Das Plus an der Sache ist, dass nun ueberhaupt eine Diskussion auf so breiter Basis stattfindet. Und mit seiner Provokation, mit seiner polemischen UEbertreibung koennte Handke sehr wohl bewirken, dass die Diskussion etwas differenzierter wird und man in einer Zeit, wo ja auch politisch erstmals wieder begruendete Hoffnung besteht, auch atmosphaerisch-ideologisch beginnt, sich von den schaedlichen Vorurteilen zu befreien. Wie beurteilen Sie die Reaktion des Schweizer Schriftstellers Juerg Laederach, der sich Handkes Buch wegen von Suhrkamp distanziert hat? Das kann ich, offen gesagt, nicht verstehen. Handke hat ja geschrieben, dass das seine Meinung sei. Und so gewichtig ist das Buch auch wieder nicht, dass sich eine solche Reaktion aufdraengen wuerde. Wenn man das Programm des Suhrkamp-Verlages seit seiner Gruendung durchforsten wuerde, gaebe es da sicher sehr viel staerkere Austrittsgruende als Handkes Text auszumachen. © 2001 / Der Bund Verlag AG, Bern und Autoren / www.eBund.ch
© Bund; 2000-05-13; Seite 7; Nummer 112 Schwache Autoren brauchen starke Reize, um einen Text zustande zu bringen, den man nicht gleich wieder vergisst. Ein Peter Handke kommt mit weniger aus. Ihm ist es im «Wunschlosen Unglueck», einem seiner ersten Erfolge, gelungen, aus scheinbar banalen Episoden im Leben einer Frau deren ganze Verzweiflung spuerbar zu machen. Ein Dichter braucht keine Bomben und Leichen, wenn er ueber den Krieg schreiben will. Peter Handkes Parteinahme fuer die serbische Sache wurzelt in seiner Trauer ueber den Krieg. Der TV-Poebel, denkt er, bewaeltigt die elementare Herausforderung des Krieges, indem er sich einen Schuldigen sucht: die Serben, Milosevic. Wie billig! Der Krieg, wie ihn die Medien transportieren, klingt Handke in den Ohren wie dem Pianisten Laerm und Geschrei. Selbst da, wo ihr vom Krieg nichts wahrnehmt, erklaert der Kuenstler den journalistischen Kunsthandwerkern, da zerstoert er Menschen: im Serbien der «Winterlichen Reise» zum Beispiel, wo noch gar kein Krieg herrschte, oder in Paris, wo die Schulkameraden eines zwoelfjaehrigen serbischen Maedchens ihre bloss menschliche, gar nicht politische Solidaritaet unter dem Eindruck der Medienberichte widerrufen. Mehr noch als die «Winterliche Reise» und erst recht als die «Fahrt im Einbaum» ist Handkes neustes Werk «Unter Traenen fragend», der Bericht von zwei Reisen nach Serbien waehrend des Nato-Bombardements im vorigen Jahr, ein politischer Text. Politisch aber ist Handke ein Idiot, und das aus UEberzeugung. Er politisiert seine antipolitische Sicht. Trotzig rechtfertigt er die Propaganda im serbischen Fernsehen, wo die Kamera fortwaehrend unter patriotischen Klaengen ueber die anmutige Landschaft faehrt und wo Bauern in der «schoensten Volkstracht» gegen den Krieg tanzen. Er weiss nicht, dass haargenau dieselben Aufnahmen im kroatischen und im albanischen Fernsehen gezeigt werden und dass sich sogar die Trachten zum Verwechseln gleichen. Und das soll dann, nach Handke, im einen Fall Kitsch sein, im anderen «etwas Naturgewachsenes»? Handke argumentiert nicht, recherchiert nicht. Ungeprueft kolportiert er die Legende, in Belgrad lebten 100 000 Albaner. Den albanischen Soziologen Fehmi Agani, den er nicht kennt, macht Handke zum «Dichter». Die paar serbischen Woerter, die er in seinen Text einstreut, sind fast alle falsch. Es kommt ihm nicht darauf an. Er sammelt bloss Eindruecke. Bollwerk gegen Kapitalismus Es ist lohnend, dem Westen seinen Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, wo mit zweierlei Mass gemessen wird. Aber bis zu einer politischen Erkenntnis ist es dann noch ein weiter Weg. Man kann im Westen vielleicht einiges fuer die serbische Sache ins Feld fuehren. Dass die Bundesrepublik Jugoslawien so gut sei wie der Westen schlecht, glaubt aber selbst in Jugoslawien niemand. Die Wuerde eines kleinen Volkes, das Leiden der einfachen Menschen, die antifaschistische Tradition, der laut Handke «suedslawische» (in Wahrheit balkanische) Kodex der Gastfreundschaft: Alles, was fuer die Position Slobodan Milosevics in diesem Krieg sprechen koennte, wurde irgendwann missbraucht und entehrt. Handke moechte glauben, in Jugoslawien organisiere sich der Widerstand gegen die kapitalistische Moderne. «Die Bomben haben immerhin bewirkt, dass wenigstens eine Jugend auf der Welt geheilt ist von CC (Coca-Cola) und McD.» Wie falsch! Er sollte sich in Belgrad nur umschauen: Am westlichsten geht es da zu, wo man sich das leisten kann, und leisten kann man sich etwas, wo man dem Regime nahe ist. Peter Handke: Unter Traenen fragend. Nachtraegliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000. 158 Seiten, Fr. 33.-. © 2001 / Der Bund Verlag AG, Bern und Autoren / www.eBund.ch
NOCH EINMAL FUER JUGOSLAWIEN: PETER HANDKE Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 290 Seiten. Fr. 18.-. LUCIE IM WALD MIT DEM DINGSDA Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 90 Seiten. Fr. 26.-. winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien» sowie «Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise» (1996). Und so verhielt es sich weitherum in der Tat: Mit dem Holzhammer versuchte man Handke zu widerlegen, obschon dieser die Scheusslichkeiten des Bosnienkrieges nicht leugnete, wohl aber sie ausblendete, als er jenes Serbien und jene Serben aufsuchte, die sich, nicht zuletzt der Kriegswirtschaft wegen, auf archaische und mehr innerliche Werte neu zu besinnen begannen. Am Aufschrei fast der gesamten europaeischen und internationalen Presse ist Handke allerdings nicht unschuldig, hat er doch ebendiese Medien als hetzerisch und antiserbisch heftig und pauschal angeklagt. Es gab jedoch auch Stimmen, die sich sorgfaeltig um Nuancierung und Differenzierung gegenueber Handkes teils idealisierenden, teils polemischen Reiseberichten bemuehten. Diese sind nun in dem von Thomas Deichmann herausgegebenen Band «Noch einmal fuer Jugoslawien: Peter Handke» gesammelt. Unverkennbar schlaegt sich Deichmann voellig auf die Seite Handkes; darum steuert er selber einen groesseren Aufsatz ueber ein fragwuerdiges, die oeffentliche Meinung manipulierendes und stimulierendes Foto aus dem Bosnienkrieg bei, was insofern besonders problematisch ist, als Handke selber sich ja gerade nicht als «Kriegsberichterstatter» verstanden hat. In die Sammlung eingegangen sind aus der Schweiz die Stellungnahmen von «Bund», WoZ, «Zuerichsee-Zeitung» und «Tages-Anzeiger». Diese und die weit zahlreicheren vor allem aus Deutschland und OEsterreich belegen, dass Journalisten durchaus des Abwaegens faehig sind, waehrend umgekehrt einige im Band abgedruckte Gespraeche sowie Handkes Rede zur Eroeffnung der Belgrader Buchmesse 1997 demonstrieren, wie parteiisch und rechthaberisch der Dichter aufzutreten vermag. Ist die juengst erschienene raetselhafte Erzaehlung «Lucie im Wald mit dem Dingsda» ebenfalls als eine Reaktion Handkes auf die Querelen nach seinen Serbien-Aufsaetzen aufzufassen? Denkbar ists. Da tritt ein zitternder, zagender, stotternder und sogar stinkender «Vater» auf, der von seinen einsamen Waldgaengen die Saecke voll kurioser Dinge, die er aufgelesen hat, heimbringt. Dieser Vater naemlich ist ein unentwegter Sucher, Sammler, Betrachter und Beobachter, was ihm nicht nur das Toechterchen Lucie zeitweilig entfremdet, sondern ihn auch markant von der Gattin abhebt, die eine schoene und adrette Polizeichefin ist, und ihn ueberdies den massgeblichen, wenngleich falschen Behoerden verdaechtig macht. Eine Parabel fuer des bedachtsamen Dichters randstaendige Existenz ueberhaupt? Die «Geschichte» (so die Bezeichnung fuer das kleine Buch) sowie die elf in den Text eingestreuten Skizzen des Autors muten wie eine dichterisch-kuenstlerische Fingeruebung eines kreativen Menschen an, der sich von einer groesseren Strapaze erholt - oder sich auf eine ebensolche vorbereitet. Erholt sich Peter Handke von einer groesseren Strapaze, oder bereitet er sich auf eine ebensolche vor? Isolde Ohlbaum © 2001 / Der Bund Verlag AG, Bern und Autoren / www.eBund.ch
Donnerstag 26.07.2001, 23:16 .. Das Presse-Online Archiv Erscheinungsdatum: 07.06.1999 Ressort: Kultur/Medien Der Dichter im Krieg in Jugoslawien unterwegs: Von A. zu J., von S. zu S.Peter Handke veroeffentlichte am Wochenende Aufzeichnungen im nachhinein zurKarwochenreise nach Jugoslawien. Vorsatz, alle die Namen der von den Europaeern und amerikanischen Desperados in Flammen geschossenen Orte auswendig zu lernen . . . wie ein Gedicht - nur dass dieses Gedicht inzwischen zu lang ist zum Auswendiglernen, notiert Peter HANDKE am 16. April 1999. Die Sueddeutsche Zeitung(5./6. Juni) dokumentiert auf einer Doppelseite die Notate des Schriftstellers zu dessen Jugoslawien-Fahrt waehrend der Karwoche, also noch in den ersten Tagen der Nato-Luftangriffe. Wieso Gedicht? Weil fuer HANDKE das Gedicht die Gliederung eines Aufschreis ist. Nach A. keine Gedichte mehr? spielt HANDKE auf Adorno an - um gleich dem Philosophen zu widersprechen: Wenn das Gedicht die Gliederung eines Aufschreis ist, dann nach A. und zu J. gerade Gedichte, nur noch Gedichte! A. und J.: zwei Kuerzel fuer unaussprechliches Leid - Auschwitz und Jugoslawien. Die Ineinssetzung irritiert, empoert, aber sie verwundert nicht bei HANDKE. Ebensowenig, dass J. nur fuer das Leiden der einen - der serbischen - Seite steht. Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit? Nein, die Sprache. O Sprache, heisst es in den Aufzeichnungen HANDKEs. Wie wahr, moechte man - gerade auch gegen die Intention des Dichters - entgegnen. So sind die europaeischen Zeitungen dem fahrenden Poeten pauschal nichts als Kriegszeitungen. Sie befassten sich von London bis Madrid mit der Ermordung zweier kosovo-albanischer Fuehrer durch die Serben (er setzt nicht nur die Serben sondern auch Ermordung in Anfuehrungszeichen). Kriegszeitungen Penibel listet er dann die Kriegszeitungen auf: die Sueddeutsche, die auf Seite 1 ein grosses Photo von einem der beiden Ermordeten brachte; der spanische El País, der den Krieg als unvermeidlich bezeichnete und sich kritisch ueber in der spanischen Liga spielende jugoslawische Fussballer aeusserte, die gegen den Nato-Krieg (HANDKE) protestierten; Le Monde, der sich anmasste, die Ausweisung westlicher Journalisten aus Jugoslawien unter Verwendung des Satzes Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit zu kommentieren; die westlichen Journalisten als die Bewahrer der Wahrheit, hoehnt HANDKE. Das erste Opfer ist die Sprache: Westliche TV-Sprecherstimmen koennen nur fette deutsche, hoefisch-verlogene franzoesische, Raum (bis in die hinstersten Winkel unseres Planetensystems) verdraengende amerikanische sein. - O Sprache! Nato-Sprecher Jamie Shea, Deutschlands Kanzler Gerhard Schroeder sind bei HANDKE Unaussprechlich-Namenlose: Mr. J. S. oder einfach der deutsche Kanzler S.; waehrend sich der ehemalige russische Premier Primakow oder der Kriegsverbrechen geziehene Slobodan Milosevic als ihrer vollen Namen wuerdig erweisen. Wie schon in HANDKEs Serbien-Reise anlaesslich des Bosnien-Krieges werden serbische Menschen und Landschaften mit einer bisweilen befremdlich anmutenden Liebe zum Detail geschildert; etwa der Mann von der jugoslawischen Botschaft in Paris: sehr schmaler, ziemlich grosser Mann mit den sehr dunklen glaenzenden mandelfoermigen Augen der byzantinischen Freskenleute . . . und einer wie von Geburt gebrochenen, dabei fragenden, nichts wollenden, dabei beharrlichen Stimme. Undenkbar, dass einem aus den Kriegslaendern seitens HANDKE solche poetische Aufmerksamkeit zuteil wuerde . . . Und die Botschaft? Was fuer eine Botschaft hast Du vom Balkan mitgebracht, fragt sich HANDKE selbst. Die Antwort: Der Dichter stilisiert sich zur Gegenstimme der Balkanexperten, denen er Mittaeterschaft unterstellt und deren Fazit immer nur laute: Ewiger Krieg! Statt dieser Experten, Journalisten, Kriegserklaerer will HANDKE nur noch demonstrierende Liebende auftreten sehen, nur noch solche - Jugoslavija! So das Schlusswort. Freilich: HANDKE selbst ist im Lauf der Jahre mehr und mehr vom Liebenden zum Erklaerer geworden. mit <
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de.soc.politik.texte Sat, 15 Jul 2000 13:00:00 +0100 Gruppe anzeigen Verwandte Artikel EMail an den Autor Antwort schreiben
http://www.wsws.org
WSWS : WSWS/DE : Kunst & Kultur : Buch
Unter Traenen fragend Das neue Buch von Peter Handke
Von Bernd Reinhardt 12. Juli 2000
Handkes Nachtraegliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durch- querungen im Krieg, Maerz und April 1999, lassen die Tragoedie im Kosovo, die vor einem Jahr begann und seit der Besetzung durch NATO-Soldaten und internationale Polizisten kein breites oeffent- liches Interesse mehr hervorgerufen hat, wieder lebendig werden. Wohl mag manch einer nicht gern an diese Zeit erinnert werden und an das, was er selbst damals vertrat.
Im Gegensatz zu vielen seiner Schriftstellerkollegen, die damals beteuerten, nur die massive Bombardierung Serbiens sei in der Lage, die Massenvertreibungen im Kosovo zu stoppen, man sprach wiederholt von Auschwitz und Genozid, war Handke unmittelbar nach den ersten Bomben mit einem Offenen Brief an die OEffentlichkeit getreten, um gegen die NATO-Angriffe und gegen die rueckgratlose Anpassung der oeffentlichen Presse an die, von der rotgruenen Regierung ausgegebene, politische Generallinie zu protestieren. Zahlreiche Journalisten unterstellten ihm daraufhin, haeufig geradezu mit Schaum vor dem Mund, ein Anhaenger Milosevics zu sein.
Der Friedensschluss hat die Spannungen im Kosovo nicht entschaerft. Jederzeit kann es wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen. OEffentlich wird von einem Scheitern der Friedensmission gesprochen. Der Spiegel machte vor einigen Wochen dafuer wieder jahrhundertealte Kulturkonflikte verantwortlich und der neue Wehrbeauftragte Penner erklaerte in der juengsten Ausgabe unmissverstaendlich, nur die im Kosovo stationierten Soldaten stellten sicher, dass die Menschen sich nicht wieder bekriegen. Sie werden noch sehr lange noetig sein, vielleicht 15 oder 20 Jahre.
Handkes gesammelte Eindruecke vom letzten Jahr weisen bei der Frage, wer fuer die staendig nervoes angespannte Lage nicht nur im Kosovo verantwortlich ist, deutlich in eine andere Richtung.
Er tut das auf seine spezielle Art. Wie schon bei seinem Reisebericht Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morava und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien schildert der Schriftsteller auch diesmal keine spektakulaeren Kriegsereignisse. Er faehrt, begleitet von dem deutschen Journalisten Thomas Deichmann und seinem alten Reisebe- gleiter Zlatko durch stille Landschaften und beschreibt, was er unmittelbar sieht, d.h. typisch Alltaegliches. Abweichend vom ver- breiteten Bild der Medien, fuer die Restjugoslawien nur plakativ aus traumatisierten Fluechtlingen und ethnischen Fanatikern besteht, sieht Handke, dass hier Menschen leben, die einfach nur normal leben wollen, doch durch Gegebenheiten, die sie selbst nicht herbeigefuehrt, auf die sie auch keinen Einfluss haben, staendig darin gehindert werden.
Das beginnt ganz banal auf der Strasse. Handke erlebt einen nervenauf- reibenden Autostau, unmittelbare Folge der neuen Grenzen in Bosnien. An der Grenzbruecke vom nunmehr bosnisch-muslimischen Territorium hin zum bosnisch-serbischen Territorium, sieht er mehr als tausend Lastwagen (...) und (...) ungeheuere, ja ungeheuere Geduld in alle die jugoslawischen, ja, jugoslawischen Gesichter geschrieben, (...) - ungeheuer auch in dem Sinn von ,nicht geheuer`: solch ein stilles Hinnehmen oder Ertragen konnte nicht fuer alle Zeiten dauern. (...) Zu wahnwitzig waren diese dicht auf dicht folgenden, auf die duemmste Weise ausgekluegelten, freiheits- und freizuegigkeitsraubenden Grenzen, indes das gesamte uebrige Europa fuer fast alle Reisenden sozusagen eine ,gemaehte Wiese` geworden war, (...) eine einzige hindernislose Autoschlittenbahn.
Auf der anderen Seite der Bruecke wird die Fahrt fortgesetzt, zunaechst auf serbisch-bosnischer Strasse, dann wieder auf bosnisch-muslimischem und schliesslich wieder serbisch-bosnischem Gebiet. Zu guter Letzt (Handke zaehlt bereits die 5. Grenze), muss er umstaendlich ein Militaercamp der internationalen Protektoratsmaechte umfahren, da die fruehere Landstrasse Stichstrasse und Teil des Lagers geworden ... ist. Dann erfolgen zweimal jetzt auch ausfuehrliche ,Grenz`-Kontrollen (umso zuenftiger, weil ohne bezeichnete Grenzen) (...) Und dann auch schon die 6. (sechste) Grenze, mit zwei (2) Grenzschranken auf der Bruecke ueber die gruene Drina, auch zwei Grenzhaeuschen je auf den Brueckenschwellen, samt verschiedenfarbigen und -geschnittenen Grenzeruniformen der zwei nun vollkommen getrennten Staaten: der Republika Srpska, Teil von Bosnien-Herzogevina, und der Sozialistischen Foederativen Republik Jugoslavija (vor acht Jahren noch gemeinsam in einem selbstverstaendlichen Staat).
Neben den Grenzen, gehoert der Anblick zerstoerter Flussbruecken, die das Land zusaetzlich zerstueckelt haben, zu den staendigen Endruecken der Reisenden. Bruecken verbanden einst benachbarte Staedte, in denen Verwandte und Freunde lebten. Bruecken verbanden auch einzelne Stadt- teile innerhalb einer Stadt. Doch jetzt: ... die oertlichen Busse halten im Abstand vor einem Schuttwall, und die Pendlermassen behelfen sich, einer hinter dem andern, wie in einer Vorzeit und in einem Urwald, ueber die halbtote Bruecke, samt ihren Einkaeufen und Siebensachen, (...) - auch hier wieder jene (...) nicht geheure Geduld.
Erschuettert stellt Handke auf seiner Reise fest, wie viele ,Ziele` (zerstoerbare Objekte) doch dieses Land hat, die Eisenbahnlinie neben der Uferstrasse, das Kraftwerk da, das Umspannwerk da, jeder noch so kleine Ort mit mindestens ein, zwei Zielobjekten, wenn auch nur einem Getreidesilo, einer Tankstelle, einer Karosseriewerkstatt (kaeme in Frage fuer Panzerreparaturen), einer Ambulanz (geheimes Waffenlager!)
Fassungslos steht er vor der gewaltigen Ruine des Zastava-Werkes, der einst groessten Fabrik Jugoslawiens. Eigentuemlich (...), wie mir die Zertruemmerung gerade der Werkzeuge, der Werkbaenke, der Haemmer, der Zangen, der Schraubstoecke, der Zentimeterstaebe, der Naegel und Schrauben (geplaettet und zerrissen selbst die kleinsten Einheiten) noch naeher ging als die der massiven Maschinen. Es war, als haetten mit diesen Werkzeugen - hiess ,Werkzeug` nicht einmal: Zeichen der Menschwerdung? - die himmlischen Gewaltmaechte fuer die ganze Region die Arbeit, d.h. jedes Zusammenwirken und Dasein (Existieren) auf unabsehbare Zeit vernichtet. (...) - laengst ist das keine Militaeraktion mehr, sondern ein Lahmlegen, aerger, ein Ins-Herz-schlagen, aerger, ein Von-der- Erdoberflaeche-Wegteufeln eines ganzen Landes, mehr, eines ganzen Erd- Teils. Eine ...zur Schutthalde gebombte Dorfschule (...) kein Grundriss, kein Dachteil, kein Tuerstock, kein Pult, nichts, was an eine auch noch so fragmentarische Praeexistenz gemahnt, allein Verkohltheit und Veraschtheit. (...) - hier auf dem Land, fern von den Staedten, gibt es keine Sirenen fuer Bombenalarm, ...
Bei Krusevac, ... das vollkommen zerfetzte, auseinandergerissene Heizkraftwerk, Eisen- und Stahlwollteile in die umliegenden Wiesen und AEcker geschleudert, (...) Sinnlosigkeit. Elendigkeit. Die Ruinen in Aleksinac, ... das muessen Raketen gewesen sein, so Handkes UEberlegung, die Ein- und Durchschlaege in den Wohnbauten sind eher horizontal, ,rasierend`, ,scherend` - ein ganzes Viertel, mittlere Hochhaeuser und eine Strasse weiter Einfamilienheime, zerschmettert haben, (...) Und an dem Haus mit den meisten Opfern (das Unterste zuoberst gekehrt) schlagen die aus dem Keller zwischen die Dach- brocken geschleuderten Zwiebeln Wurzeln und gruenen,... Luftangriff in Belgrad ... so unvermittelt, und so raumsprengend (und zugleich den Raum vernichtend), so handgreiflich und niederknueppelnd, dass dazu Woertchen wie ,jaeh` oder ,ploetzlich` betulich und langatmig wirken Und so Luftschlag auf -schlag, die ganze liebe Nacht. Gewoehnung unmoeglich. Der psychische Druck auf die Menschen, die dem ausgesetzt sind muss ungeheuer sein. Eine dem Schriftsteller von frueher her bekannte jugoslawische TV-Journalistin, ist nach acht Wochen Bombar- dement zu einer schweren Stotterin geworden.
Noch vor vier Jahren hat Handke das Dorf Porodin am Fluss Morava als Beispiel eintraechtigen Zusammenlebens beschrieben. Obwohl nicht unmittelbar von Bomben bedroht, hat sich das Verhaeltnis der Dorfbe- wohner zueinander in der Zwischenzeit veraendert. Waehrend ein Teil der Einwohner an einer ,Demonstration` teilgenommen haben, samt Gesang und Rezitation, gegen den Krieg, wie der Schriftsteller erfaehrt, sie waren sogar im Fernsehen gezeigt worden!, wollen andere im Dorf, etwa jene Halbwuechsigen im Landstrassenladen, der zugleich Bar ist, (...) von der Kriegssache spuerbar nichts wissen - weil sie zur rumaenischen Minderheit hier gehoeren? ueberlegt Handke, wird es auch hier zur Abspaltung kommen? oder ist es laengst schon dazu gekommen?
Angst, nicht die Stimme des Blutes, scheint dafuer als einzig plausibler Grund in Frage zu kommen, die nackte Angst vor einem Krieg, den niemand im Dorf gewollt hat, dessen Ursache sich niemand erklaeren kann, die Angst fuer eine Politik bestraft zu werden, mit der man sich nicht identifiziert hat. Man will nichts damit zu tun haben, nicht mit hineingezogen werden. Abgrenzung, ein Reflex, unmittelbar verbunden mit Verstaendnis- und Perspektivlosigkeit.
Die Belgrader Jugendlichen von denen wohl viele noch vor zweieinhalb Jahren hitzig-zornig dortselbst gegen den landeseigenen ,Tyrannen` und ,Diktator` demonstriert haben und die jetzt, regiert von demselben damals so heftig Bestrittenen, fuer ihr Land vielleicht werden sterben muessen, haben sich auf dem Platz der Republik versammelt, wo taeglich Freiluftkonzerte stattfinden, was le monde, laut Handke, so kommen- tiert: auch die afrikanischen Staemme, bevor sie ihre Jungen in ihre moerderischen Kriege schicken, putschen sie auf mit Taenzen und Musik - aehnlich dem ,Rock` in Belgrad. Der Schriftsteller findet keine Spur von fanatischer Kriegsbegeisterung, eher ein Insichgekehrtsein. Das gilt auch fuer die jungen serbischen Soldaten, denen Handke unterwegs vereinzelt begegnet.
Der Leser lernt einen katholischen Bischof, Angehoeriger der kroatischen Minderheit in Banja Luka kennen und eine AErztin, Krebsspezialistin aus Novi Sad. Diese Frau kann es nicht fassen, was die Laender, in die sie immer so gern gereist ist (sie war oefter in den USA), ihrem Volk antut. Statt sich aber zu empoeren, fragt sie dann nur: ,Ja, sind wir denn wirklich so schuldig?`(...) sie will wirklich und dringlich wissen, zum Beispiel von uns dreien hier, was ihrer aller, Serben und Montenegriner, Schuld sei! ,Solch ein Leiden - da muss doch Schuld sein. Es kann nicht anders sein, als dass wir schuldig sind. Aber wie? Aber warum?` (...) Diese Augen (...) unter Traenen FRAGEND, ...
Mehr von Verunsicherung als Begeisterung fuer die Mission der NATO zeugt auch die Reaktion der Bevoelkerung seiner Wahlheimat Frankreich bei den wie eh und je besonders ausfuehrlichen Konversationen an den Ladenkassen, deren Banalitaet Handke jetzt unertraeglich werden. Kein Wort vom Krieg, den das Land mitfuehrt; ... hoechstens etwas wie ,Ach, er wird nicht dauern.` In Slowenien wo am Vorabend das dortige TV mich als Staatsfeind gezeigt hatte ... erlebt der bekannte Schrift- steller auf der Strasse zunaechst sich ruckhaft abwendende Koepfe der Passanten, massenweise, fast komisch. Doch dann: der und jener loest sich aus seinem Vorbeistarren und zeigt sich, kurz Auge in Auge, so hilflos, wehrlos, ratlos wie ich - sein ,Ich weiss nichts, ich verstehe nichts!` momentlang nicht mehr das verlogene Vorspiel seiner Schlag- stockmeinung. Ich und er / sie gehen jedenfalls fuer diesen Augenblick nicht mehr als Frontmaenner oder -Frauen aneinander vorbei. Lass dir die Fronten nicht einreden (sage ich auch zu mir selber)
Schon in seiner 1996 erstmals veroeffentlichten, seitdem kontrovers diskutierten winterlichen Reise ..., liess sich Handke in diesem Sinne keine Fronten einreden. Mitten im auseinandergebrochenen ehemaligen Jugoslawien bemuehte er sich, die inzwischen durch Staatsgrenzen getrennten Voelkern an das gemeinsam erlebte Alltaegliche zu erinnern. Fuer ihn sind die Menschen bis heute in erster Linie Jugoslawen geblieben. Unter Traenen fragend zeigt ihre Ohnmacht gegenueber dem NATO-Krieg. Nicht nur die gemeinsam demonstrierenden Menschen auf den serbischen Flussbruecken, selbst die Natur scheint die bewusst vorangetriebene Zersplitterung des Landes nicht zu akzeptieren. In Handkes Beschreibungen erscheint die Unendlichkeit der Landschaft, die Weite des Horizonts als Ausdruck natuerlicher Vernunft, des krassen Gegenteils der in den letzten zehn Jahren geschaffenen gesellschaft- lichen Realitaet.
Seine besondere Empoerung gilt der Tatsache, dass gerade Vertreter der einstigen Woodstock-Generation diejenigen sind, die die Befehle fuer die Bombenangriffe geben, von dessen einstigen Slogan Make love not war ein internationaler Paradejournalist eine Art Legitimierung des Bombenkriegs herleitet: denn die, die den Krieg jetzt fuehren, B.C., T.B., G.S., J.F. etc, seien doch allesamt keine ,kalten Krieger`, sondern Kinder der ,Flower Power`, und deswegen ,glaubhaft`.
Vor dem Hintergrund der monstroesen Kriegspropaganda der westlichen Medien, die, wie Handke anfuehrt, die Auflagezahlen ihrer Zeitungen waehrend des Krieges gewinnbringend steigern konnten, erscheinen ihm die Bilder des offiziellen jugoslawischen Fernsehens, welche er auf seiner Reise in einem serbischen Hotel sieht, vergleichsweise harmlos. Er siedelt deren Informationswert daher irgendwo jenseits von Wahrheit und Luege an, ein kleineres UEbel gegenueber dem bewussten Informationen vortaeuschen. der NATO-Medien.
Er sieht: Soldaten, abwechselnd mit Volkstaenzern; Fluesse, Berge, Ebenen, Schlote, Kaehne, und dazu das immergleiche, nahezu sanfte jugoslawisch-patriotische Lied, (...). Da kommt ihm erstmals der Gedanke: es gebe eine Art der ,Propaganda`, die nichts Gemachtes oder gar Bezwecktes sei, vielmehr auch etwas Naturgewachenes sein koennte, als ,Propaganda` wahrnehmbar allein durch Verbreitetwerden, Propagiertwerden. Es scheint nur natuerlich, einem Reflex gleich, dass das von einer UEbermacht angegriffene Land nun seine Flagge, seine Landesfarben zeigt. Es zieht sein aeltestes und feiertaeg- lichstes Gewand an, und warum nicht seine schoenste Volkstracht?, und es tanzt seine aeltesten und traditionellsten Taenze. Es singt. Es zeigt und erzaehlt, so bedroht die friedlichsten und unschuldigsten der Bilder von sich selbst - auch wenn diese sonst auch luegen, jetzt, im Not- und Bedraengnisfall, luegen sie einmal nicht
Es kann darueber keinen Zweifel geben, dass Handkes oeffentlicher Zorn ueber den Krieg unsere Hochachtung verdient. Reine Empoerung hat jedoch ihre Grenzen. Sein poetischer Blick auf das Land, das singt, tanzt und sich zur Wehr setzt, vermittelt ein truegerisches Bild von der Gesellschaft. Es beruecksichtigt nicht, dass die soziale Spaltung auch durch eine Kriegssituation keineswegs ausser Kraft gesetzt wird. Die Heimatliebe der Bevoelkerung ist etwas anderes als der offizielle, von oben geschuerte Patriotismus, ein erprobtes Mittel, die eigene Bevoelkerung an die Politik eines rueckstaendigen Regimes zu binden. Die Masse der Bevoelkerung sitzt nicht ploetzlich eintraechtig in einem Boot mit der sozial privilegierten, herrschenden Elite des Landes. Das aeussert sich auch in einer unterschiedlichen Einstellung zum Krieg.
Eine Staerke von Handkes Buch besteht gerade in der Beobachtung dass es in keinem der Laender, durch die ihn sein Weg fuehrte, ob auf Seiten der NATO oder jugoslawischer Seite, eine breite Zustimmung der Bevoelkerung gegenueber der Kriegspolitik ihrer Regierungen oder gar Euphorie gab. Es widerlegt das Maerchen von der Allmacht und Unwider- stehlichkeit politischer Demagogen. Der Schriftsteller trifft nicht auf hoffnungslos verblendete, sondern auf verstoerte und verunsicherte Menschen, die nicht wissen, was sie tun sollen. Viele von ihnen verdraengen die Gegenwart des Krieges, soweit der geografische Abstand es ihnen erlaubt.
Handkes Buch ist ein Appell an grosse und aufrichtige menschliche Gefuehle, die er den heutigen institutionellen Verkuendern der offiziellen Wahrheit aberkennt. Sie sind Luegner, ohne Ehre, Mut, Herz und Gewissen. Handkes Fazit lautet: Lasst statt der Experten, der erfahrenen, eingefuchsten Journalisten und Kriegserklaerer mit ernsten Stimmen, gefilmt vor Buecherwaenden, nur noch demonstrierende Liebende auftreten, nur noch solche - Jugoslavija!
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